Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Eindrückliche Lesung über Erich Kästner im RLT
NEUSS „Das Leben muss noch vor dem Tode erledigt werden“: Dieser starke Satz stammt von Erich Kästner. Und er war jetzt – sozusagen als Köder – der Titel einer Lesung auf der Studiobühne des Rheinischen Landestheaters (RLT). 100 Stühle waren aufgestellt worden, kaum einer sollte unbesetzt bleiben.
Dorothea Gravemann, Inhaberin des Bücherhaus am Münster, sorgte für eine Art Warm-up. Sie stimmte die Besucherinnen und Besucher mit Informationen über Erich Kästner auf die anschließende Lesung mit Johannes Bauer und Fenna Benetz, die beide Mitglied im Ensemble des RLT sind, ein. „Er hat die Chancen, die die Weimarer Republik ihm bot, genutzt. Erich Kästner war damals in Berlin eine relevante literarische Größe“, erfuhr das Publikum. Und: „Er saß in Cafés, jeder kannte ihn, er hatte nichts dagegen, wenn sich jemand zu ihm setzen wollte“, erklärte Dorothea Gravemann. Mangelndes Selbstbewusstsein sei nie sein Problem gewesen. Aber er sollte bald gleich mehrere Probleme bekommen: Erich Kästner war bei der Verbrennung seiner Bücher dabei, glaubte aber, der „Spuk“würde bald vorbei sein. In den Nachbarländern wurden seine Bücher noch gedruckt. „Aber nach dem Krieg gab es diese
Nachbarländer nicht mehr“, gab Dorothea Gravemann zu bedenken. Und sie erklärte, dass der Roman „Der Gang vor die Hunde“, aus dem der Schauspieler Johannes Bauer lesen sollte, die entschärfte Version von „Fabian – die Geschichte eines Moralisten“ist.
Im Wechsel lasen Johannes Bauer aus dem „Gang vor die Hunde“und Fenna Benetz aus Tagebucheintragungen im Jahre 1945. Musik, Gelächter, Gesang: Das Leben war im überhitzten Berlin der späten Zwanzigerjahre, das wurde schnell deutlich, sehr ausschweifend auf dem Weg vor die Hunde. Im Mittelpunkt steht Jakob Fabian, ein arbeitsloser Germanist. Bauer las von „Engeln“, die in der Bar Zigaretten schnorren, die „überall rasiert“sind und nicht abgeneigt, dies unter Beweis zu stellen. Kästner hatte von einem „gefährlichen Lebenshunger“geschrieben. Johannes Bauer vermittelte die Informationen sachlich – wie ein Nachrichtensprecher. Das war nicht verkehrt, denn das, was er las, war schon aufwühlend genug.
Schauspielerin Fenna Benetz las aus „Notabene 45“. Da war von „Leuten, die einen nicht kennen wollen und Freunden, die man nicht kennt“die Rede. Und sie entführte das Publikum in die Zeit unmittelbar nach Kriegsende, wo man nicht in der Fabrik und auch nicht an der Waffe gebraucht wurde. Kästner erlaubt sich einen Rückblick: 1933 habe man auf den Judenboykott noch sehr zögerlich reagiert, bei der Reichspogromnacht fünf Jahre später gab es diese Zurückhaltung nicht mehr.