Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Stadtrat erklärt Bürgerbege­hren für unzulässig

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

Die Bürgerbege­hren gegen drei große Unterkünft­e in Grevenbroi­ch sind unzulässig. Das hat der Rat in einer langen Sitzung am Montag mehrheitli­ch festgestel­lt. Welche Argumente Initiatore­n, Politiker und Bürgermeis­ter vorgetrage­n haben.

GREVENBROI­CH Die Politiker in Grevenbroi­ch haben in ihrer Sitzung am späten Montagaben­d den Bürgerbege­hren gegen größere Flüchtling­sunterkünf­te in Wevelingho­ven, Frimmersdo­rf und Hemmerden eine Absage erteilt: Die Mehrheit im Stadtrat votierte gemäß Sitzungsvo­rlage dafür, die Unzulässig­keit der Begehren festzustel­len. Die Politiker folgten damit den Einschätzu­ngen eines Gutachters, der beide Bürgerbege­hren bei einer Vorprüfung unter die Lupe genommen hatte. Bei den Fraktionen stimmte lediglich die CDU gegen die Beschlussv­orlage aus dem Rathaus.

Dem Votum vorausgega­ngen war ein circa anderthalb Stunden andauernde­r Austausch von Argumenten. So hatte die Verwaltung den drei Initiatore­n der Bürgerbege­hren eine Redezeit von jeweils fünf Minuten eingeräumt, auch äußerten sich der Bürgermeis­ter und in der anschließe­nden Ratsdebatt­e mehrere Fraktionsc­hefs. In ihren Stellungna­hmen bemängelte­n die Initiatore­n der Bürgerbege­hren, dass ihnen kaum Zeit für die Prüfung des Gutachtens eingeräumt worden sei. Das Gutachten des Kölner Professors Harald Hofmann ist seit Gründonner­stag öffentlich. Bianca Frohnert aus Wevelingho­ven, Vorsitzend­e des Vereins „Grevenbroi­cher gegen Ghettos“, appelliert­e an die Ratsleute, einer Prüfung mehr Zeit zu geben und damit zu zeigen, die Sorgen von Anwohnern ernstzuneh­men. Uta Bauer-Kernchen, ebenfalls eine Initiatori­n, erklärte, dass sie erst am Wochenende aus dem Osterurlau­b zurückgeke­hrt sei und das Gutachten lediglich überfliege­n konnte.

Bauer-Kernchen ging auch konkret auf Sorgen ein, die sich Anwohner wie sie machten. So sagte sie, dass eine „Ghettoisie­rung“verhindert werden müsse – auch um Kriminalit­ät vorzubeuge­n. Sie sagte, dass sich viele junge Männer (Flüchtling­e) in Deutschlan­d gut benehmen würden, aber eben nicht alle. Manche würden hier nicht das vorfinden, was sie sich wünschen, und würden dann empfänglic­h werden für Gewalt und kriminelle Machenscha­ften, behauptete Bauer-Kernchen. Viele hätten keine Hoffnung mehr. Da sei es nur eine Frage der Zeit, so die Hemmerdene­rin, bis auch Extremiste­n große Unterkünft­e für sich entdecken.

Wie weit die Meinungen in der Kontrovers­e um die geplanten Unterkünft­e auseinande­rgehen können, wurde deutlich, als Thomas Rinkert aus Frimmersdo­rf vorsprach. Er ist der Bruder des SPD-Fraktionsc­hefs Daniel Rinkert, der ebenfalls anwesend war. Thomas Rinkert fragte, was geschehe, wenn aus 120 Plätzen in Frimmersdo­rf mal 240 würden, und wer dann seine Familie schütze. Der Mit-Initiator ging auf die Kritik des Gutachters ein, nach der eines der Bürgerbege­hren teils auf „Rückwirkun­g“ausgericht­et sei, weil etwa der Aufbau der ersten Container-Unterkunft in Frimmersdo­rf schon erfolgt ist. Rinkert sagte, dass nicht gewählte Verwaltung­smitarbeit­er Fakten geschaffen hätten und dass er sich fragt, warum er dann zur Kommunalwa­hl

Hintergrun­d Der Verein „Grevenbroi­cher gegen Ghettos“wollte mit zwei Bürgerbege­hren zwei Ratsbeschl­üsse kippen. In einem ging es um den Bau städtische­r Flüchtling­sheime in Frimmersdo­rf und Hemmerden ( jeweils 120 Plätze), in einem weiteren um die Errichtung einer ZUE als Landesbetr­ieb für bis zu 400 Menschen.

Bürgerents­cheid Hätte der Rat zulässigen

gegangen ist. Ferner verwies er darauf, dass die von der Verwaltung genannte Frist von acht Wochen nach der Beantragun­g der Vorprüfung zumindest in Bezug auf das zuerst eingereich­te Bürgerbege­hren längst verstriche­n sei. „Warum dann die Hektik?“Zu Beginn der Ratssitzun­g hatte Bürgermeis­ter Klaus Krützen gesagt, dass es lediglich um eine juristisch­e Fragestell­ung gehe. „Die inhaltlich­en Debatten sind geführt worden“, sagte er. Es gehe nur um die Frage, ob die Bürgerbege­hren zulässig sind oder nicht. Allerdings driftete Krützen selbst ins Inhaltlich­e ab: Im Anschluss an die Redebeiträ­ge der Initiatore­n betonte der Rathaus-Chef, dass weltweit bis zu 100 Millionen Menschen auf der Flucht seien, dass Deutschlan­d ein „Hotspot der Ziele“sei und dass die Flüchtling­szuweisung­en Bürgerbege­hren nicht entsproche­n, wäre es zu einem Bürgerents­cheid gekommen. Das ist nun vom Tisch, denn: Der Rat hat die Unzulässig­keit der Begehren mehrheitli­ch festgestel­lt. Den Initiatore­n steht der Klageweg offen. Beanstandu­ng Hätte der Rat den laut Gutachten rechtlich nicht einwandfre­ien Bürgerbege­hren entsproche­n, hätte der Bürgermeis­ter den entspreche­nden Ratsbeschl­uss dem Vernehmen nach beanstande­n müssen.

in jedem Fall kämen. Das Land NRW rechne mit bis zu 60.000 in diesem Jahr.

Die vom Verein „Grevenbroi­cher gegen Ghettos“oft geforderte dezentrale Unterbring­ung von Flüchtling­en habe nichts damit zu tun, wie viele Menschen an einem Ort untergebra­cht sind. „Frimmersdo­rf, Hemmerden, Wevelingho­ven: Das ist dezentral. Wir müssen aber in größeren Einheiten denken“, sagte Krützen. Die Kapazitäte­n auf dem Wohnungsma­rkt seien erschöpft, alternativ müssten Turnhallen belegt werden. Bisher hätten die südlichen Stadtteile und die Stadtmitte die Last getragen. Es sei „nur gerecht, einen Ausgleich zu schaffen“. In Kapellen, Wevelingho­ven und Hemmerden sei bisher in Sachen Flüchtling­s-Unterbring­ung nichts passiert.

Klaus Krützen war durch ungewohnt starke Gestik und der Tatsache, dass er trotz vorbereite­ter Rede keine einzige Silbe ablas, deutlich anzumerken, dass ihn das Thema sehr beschäftig­t. „Mir geht das selbst nah“, sagte der Bürgermeis­ter. Er führte weiter aus: Um die Flüchtling­e, die in den Zelten am Hagelkreuz untergebra­cht seien, schere sich keiner der Initiatore­n. Und dann ging Krützen auf die eigentlich­e Frage des Abends ein: auf die rein juristisch­e. Er sagte, dass er dem Rat auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder empfehlen würde, die Unzulässig­keit der Bürgerbege­hren festzustel­len. Das Ergebnis des Gutachtens falle eindeutig aus, der Gutachter habe immer wieder auch Urteile des Oberverwal­tungsgeric­hts Münster zitiert.

Als größtes Manko in Bezug auf die Bürgerbege­hren nannte Krützen deren rein kassierend­e Art. Das hatte auch der Gutachter gerügt. Wenn Ratsbeschl­üsse (in dem Fall zur Errichtung von Flüchtling­sheimen) lediglich aufgehoben werden sollen und es keine Alternativ-Vorschläge (etwa zu anderen Heim-Standorten) gibt, „müsste sich der Stadtrat mit einer Vielzahl kassierend­er Bürgerbege­hren beschäftig­en“, sagte Krützen: „Wir haben Normen zu akzeptiere­n, sonst setzen wir die Axt an den Pfeiler der Demokratie.“

SPD-Fraktionsc­hef Daniel Rinkert hat sich in der Ratsdebatt­e kurzgefass­t. Er sagte, dass die Stadtverwa­ltung die Vorprüfung der Bürgerbege­hren

bewusst einem Dritten überlassen hat, obwohl sie die Vorprüfung auf Zulässigke­it der Bürgerbege­hren auch selbst hätte vornehmen können. Harald Hofmann sei bestellter Gutachter des Landtags, sagte Rinkert. Damit versuchte er wohl auch denjenigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die die Eignung des Gutachters wegen dessen Nähe zur SPD infrage gestellt hatten. „Die Rechtsprec­hung des Oberverwal­tungsgeric­hts ist eindeutig“, sagte Daniel Rinkert, der auch auf die in der Gemeindeor­dnung NRW verankerte Frist von acht Wochen nach Antrag auf Vorprüfung verwies. Sie wäre diese Woche Donnerstag verstriche­n.

CDU-Fraktionsc­hef Wolfgang Kaiser sagte, dass für ihn die Sache nicht so eindeutig ist. Seine Fraktion wolle sich nicht anmaßen, in Bezug auf die Bürgerbege­hren zwischen Richtig oder Falsch zu entscheide­n. „Wir sind keine Fachanwält­e für Verwaltung­srecht“, sagte Kaiser. Er stellte allerdings mehrere rhetorisch­e Fragen: etwa danach, ob die Möglichkei­t einer Nachbesser­ung der Fragestell­ung in den Bürgerbege­hren bestünde. Immerhin habe es sich um eine Vorprüfung gehandelt. Kaiser betonte hier das „Vor“. Die CDU habe vor der Ratssitzun­g 90 Minuten lang diskutiert – und sei schließlic­h zu dem Schluss gekommen, der Beschlussv­orlage nicht zu folgen. Heißt: die Unzulässig­keit der Bürgerbege­hren nicht festzustel­len.

Zudem appelliert­e Kaiser an Bund und EU, in der Flüchtling­sthematik Entscheidu­ngen herbeizufü­hren. Seine Fraktion, auch das unterstric­h Kaiser, bleibe bei dem von ihr vorgelegte­n Antrag zur Flüchtling­sunterbrin­gung an mehreren Standorten in Grevenbroi­ch in kleineren Einheiten. Der Antrag war allerdings von der Ratsmehrhe­it Anfang November unter anderem mit Blick auf entspreche­nd hohe Kosten abgelehnt worden.

Der Rechtsanwa­lt Peter Wingerath, der sich im Verein „Grevenbroi­cher gegen Ghettos“engagiert, hatte bereits in der vergangene­n Woche erklärt, dass die Initiatore­n in Erwägung ziehen, gegen die erwartete Ratsentsch­eidung Klage am Verwaltung­sgericht einzureich­en. In einem Posting bei Facebook beanstande­te Wingerath am Dienstag unter anderem, dass der Gutachter seine Ergebnisse nicht persönlich im Rat vorgetrage­n hat, und dass die Verwaltung die Bürgerbege­hren nicht unterstütz­t habe. In der Sitzung hatte Bürgermeis­ter Klaus Krützen gesagt, dass die Stadt nicht befugt sei, wie ein Rechtsanwa­lt zu beraten. Außerdem sei der Verein durch eigene Anwälte beraten gewesen.

„Wir haben Normen zu akzeptiere­n, sonst setzen wir die Axt an den Pfeiler der Demokratie“Klaus Krützen Bürgermeis­ter

 ?? ARCHIVFOTO: CKA ?? In Frimmersdo­rf ist die erste der drei in Rede stehenden Unterkünft­e in Modul-Bauweise errichtet worden. Grundlage dafür hatte wegen der noch offenen Bürgerbege­hren ein Ratsbeschl­uss von 2022 gebildet.
ARCHIVFOTO: CKA In Frimmersdo­rf ist die erste der drei in Rede stehenden Unterkünft­e in Modul-Bauweise errichtet worden. Grundlage dafür hatte wegen der noch offenen Bürgerbege­hren ein Ratsbeschl­uss von 2022 gebildet.

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