Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Stadtrat erklärt Bürgerbegehren für unzulässig
Die Bürgerbegehren gegen drei große Unterkünfte in Grevenbroich sind unzulässig. Das hat der Rat in einer langen Sitzung am Montag mehrheitlich festgestellt. Welche Argumente Initiatoren, Politiker und Bürgermeister vorgetragen haben.
GREVENBROICH Die Politiker in Grevenbroich haben in ihrer Sitzung am späten Montagabend den Bürgerbegehren gegen größere Flüchtlingsunterkünfte in Wevelinghoven, Frimmersdorf und Hemmerden eine Absage erteilt: Die Mehrheit im Stadtrat votierte gemäß Sitzungsvorlage dafür, die Unzulässigkeit der Begehren festzustellen. Die Politiker folgten damit den Einschätzungen eines Gutachters, der beide Bürgerbegehren bei einer Vorprüfung unter die Lupe genommen hatte. Bei den Fraktionen stimmte lediglich die CDU gegen die Beschlussvorlage aus dem Rathaus.
Dem Votum vorausgegangen war ein circa anderthalb Stunden andauernder Austausch von Argumenten. So hatte die Verwaltung den drei Initiatoren der Bürgerbegehren eine Redezeit von jeweils fünf Minuten eingeräumt, auch äußerten sich der Bürgermeister und in der anschließenden Ratsdebatte mehrere Fraktionschefs. In ihren Stellungnahmen bemängelten die Initiatoren der Bürgerbegehren, dass ihnen kaum Zeit für die Prüfung des Gutachtens eingeräumt worden sei. Das Gutachten des Kölner Professors Harald Hofmann ist seit Gründonnerstag öffentlich. Bianca Frohnert aus Wevelinghoven, Vorsitzende des Vereins „Grevenbroicher gegen Ghettos“, appellierte an die Ratsleute, einer Prüfung mehr Zeit zu geben und damit zu zeigen, die Sorgen von Anwohnern ernstzunehmen. Uta Bauer-Kernchen, ebenfalls eine Initiatorin, erklärte, dass sie erst am Wochenende aus dem Osterurlaub zurückgekehrt sei und das Gutachten lediglich überfliegen konnte.
Bauer-Kernchen ging auch konkret auf Sorgen ein, die sich Anwohner wie sie machten. So sagte sie, dass eine „Ghettoisierung“verhindert werden müsse – auch um Kriminalität vorzubeugen. Sie sagte, dass sich viele junge Männer (Flüchtlinge) in Deutschland gut benehmen würden, aber eben nicht alle. Manche würden hier nicht das vorfinden, was sie sich wünschen, und würden dann empfänglich werden für Gewalt und kriminelle Machenschaften, behauptete Bauer-Kernchen. Viele hätten keine Hoffnung mehr. Da sei es nur eine Frage der Zeit, so die Hemmerdenerin, bis auch Extremisten große Unterkünfte für sich entdecken.
Wie weit die Meinungen in der Kontroverse um die geplanten Unterkünfte auseinandergehen können, wurde deutlich, als Thomas Rinkert aus Frimmersdorf vorsprach. Er ist der Bruder des SPD-Fraktionschefs Daniel Rinkert, der ebenfalls anwesend war. Thomas Rinkert fragte, was geschehe, wenn aus 120 Plätzen in Frimmersdorf mal 240 würden, und wer dann seine Familie schütze. Der Mit-Initiator ging auf die Kritik des Gutachters ein, nach der eines der Bürgerbegehren teils auf „Rückwirkung“ausgerichtet sei, weil etwa der Aufbau der ersten Container-Unterkunft in Frimmersdorf schon erfolgt ist. Rinkert sagte, dass nicht gewählte Verwaltungsmitarbeiter Fakten geschaffen hätten und dass er sich fragt, warum er dann zur Kommunalwahl
Hintergrund Der Verein „Grevenbroicher gegen Ghettos“wollte mit zwei Bürgerbegehren zwei Ratsbeschlüsse kippen. In einem ging es um den Bau städtischer Flüchtlingsheime in Frimmersdorf und Hemmerden ( jeweils 120 Plätze), in einem weiteren um die Errichtung einer ZUE als Landesbetrieb für bis zu 400 Menschen.
Bürgerentscheid Hätte der Rat zulässigen
gegangen ist. Ferner verwies er darauf, dass die von der Verwaltung genannte Frist von acht Wochen nach der Beantragung der Vorprüfung zumindest in Bezug auf das zuerst eingereichte Bürgerbegehren längst verstrichen sei. „Warum dann die Hektik?“Zu Beginn der Ratssitzung hatte Bürgermeister Klaus Krützen gesagt, dass es lediglich um eine juristische Fragestellung gehe. „Die inhaltlichen Debatten sind geführt worden“, sagte er. Es gehe nur um die Frage, ob die Bürgerbegehren zulässig sind oder nicht. Allerdings driftete Krützen selbst ins Inhaltliche ab: Im Anschluss an die Redebeiträge der Initiatoren betonte der Rathaus-Chef, dass weltweit bis zu 100 Millionen Menschen auf der Flucht seien, dass Deutschland ein „Hotspot der Ziele“sei und dass die Flüchtlingszuweisungen Bürgerbegehren nicht entsprochen, wäre es zu einem Bürgerentscheid gekommen. Das ist nun vom Tisch, denn: Der Rat hat die Unzulässigkeit der Begehren mehrheitlich festgestellt. Den Initiatoren steht der Klageweg offen. Beanstandung Hätte der Rat den laut Gutachten rechtlich nicht einwandfreien Bürgerbegehren entsprochen, hätte der Bürgermeister den entsprechenden Ratsbeschluss dem Vernehmen nach beanstanden müssen.
in jedem Fall kämen. Das Land NRW rechne mit bis zu 60.000 in diesem Jahr.
Die vom Verein „Grevenbroicher gegen Ghettos“oft geforderte dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen habe nichts damit zu tun, wie viele Menschen an einem Ort untergebracht sind. „Frimmersdorf, Hemmerden, Wevelinghoven: Das ist dezentral. Wir müssen aber in größeren Einheiten denken“, sagte Krützen. Die Kapazitäten auf dem Wohnungsmarkt seien erschöpft, alternativ müssten Turnhallen belegt werden. Bisher hätten die südlichen Stadtteile und die Stadtmitte die Last getragen. Es sei „nur gerecht, einen Ausgleich zu schaffen“. In Kapellen, Wevelinghoven und Hemmerden sei bisher in Sachen Flüchtlings-Unterbringung nichts passiert.
Klaus Krützen war durch ungewohnt starke Gestik und der Tatsache, dass er trotz vorbereiteter Rede keine einzige Silbe ablas, deutlich anzumerken, dass ihn das Thema sehr beschäftigt. „Mir geht das selbst nah“, sagte der Bürgermeister. Er führte weiter aus: Um die Flüchtlinge, die in den Zelten am Hagelkreuz untergebracht seien, schere sich keiner der Initiatoren. Und dann ging Krützen auf die eigentliche Frage des Abends ein: auf die rein juristische. Er sagte, dass er dem Rat auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder empfehlen würde, die Unzulässigkeit der Bürgerbegehren festzustellen. Das Ergebnis des Gutachtens falle eindeutig aus, der Gutachter habe immer wieder auch Urteile des Oberverwaltungsgerichts Münster zitiert.
Als größtes Manko in Bezug auf die Bürgerbegehren nannte Krützen deren rein kassierende Art. Das hatte auch der Gutachter gerügt. Wenn Ratsbeschlüsse (in dem Fall zur Errichtung von Flüchtlingsheimen) lediglich aufgehoben werden sollen und es keine Alternativ-Vorschläge (etwa zu anderen Heim-Standorten) gibt, „müsste sich der Stadtrat mit einer Vielzahl kassierender Bürgerbegehren beschäftigen“, sagte Krützen: „Wir haben Normen zu akzeptieren, sonst setzen wir die Axt an den Pfeiler der Demokratie.“
SPD-Fraktionschef Daniel Rinkert hat sich in der Ratsdebatte kurzgefasst. Er sagte, dass die Stadtverwaltung die Vorprüfung der Bürgerbegehren
bewusst einem Dritten überlassen hat, obwohl sie die Vorprüfung auf Zulässigkeit der Bürgerbegehren auch selbst hätte vornehmen können. Harald Hofmann sei bestellter Gutachter des Landtags, sagte Rinkert. Damit versuchte er wohl auch denjenigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die die Eignung des Gutachters wegen dessen Nähe zur SPD infrage gestellt hatten. „Die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts ist eindeutig“, sagte Daniel Rinkert, der auch auf die in der Gemeindeordnung NRW verankerte Frist von acht Wochen nach Antrag auf Vorprüfung verwies. Sie wäre diese Woche Donnerstag verstrichen.
CDU-Fraktionschef Wolfgang Kaiser sagte, dass für ihn die Sache nicht so eindeutig ist. Seine Fraktion wolle sich nicht anmaßen, in Bezug auf die Bürgerbegehren zwischen Richtig oder Falsch zu entscheiden. „Wir sind keine Fachanwälte für Verwaltungsrecht“, sagte Kaiser. Er stellte allerdings mehrere rhetorische Fragen: etwa danach, ob die Möglichkeit einer Nachbesserung der Fragestellung in den Bürgerbegehren bestünde. Immerhin habe es sich um eine Vorprüfung gehandelt. Kaiser betonte hier das „Vor“. Die CDU habe vor der Ratssitzung 90 Minuten lang diskutiert – und sei schließlich zu dem Schluss gekommen, der Beschlussvorlage nicht zu folgen. Heißt: die Unzulässigkeit der Bürgerbegehren nicht festzustellen.
Zudem appellierte Kaiser an Bund und EU, in der Flüchtlingsthematik Entscheidungen herbeizuführen. Seine Fraktion, auch das unterstrich Kaiser, bleibe bei dem von ihr vorgelegten Antrag zur Flüchtlingsunterbringung an mehreren Standorten in Grevenbroich in kleineren Einheiten. Der Antrag war allerdings von der Ratsmehrheit Anfang November unter anderem mit Blick auf entsprechend hohe Kosten abgelehnt worden.
Der Rechtsanwalt Peter Wingerath, der sich im Verein „Grevenbroicher gegen Ghettos“engagiert, hatte bereits in der vergangenen Woche erklärt, dass die Initiatoren in Erwägung ziehen, gegen die erwartete Ratsentscheidung Klage am Verwaltungsgericht einzureichen. In einem Posting bei Facebook beanstandete Wingerath am Dienstag unter anderem, dass der Gutachter seine Ergebnisse nicht persönlich im Rat vorgetragen hat, und dass die Verwaltung die Bürgerbegehren nicht unterstützt habe. In der Sitzung hatte Bürgermeister Klaus Krützen gesagt, dass die Stadt nicht befugt sei, wie ein Rechtsanwalt zu beraten. Außerdem sei der Verein durch eigene Anwälte beraten gewesen.
„Wir haben Normen zu akzeptieren, sonst setzen wir die Axt an den Pfeiler der Demokratie“Klaus Krützen Bürgermeister