Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Autofahrer werden von Radfahrern bespuckt“
Die Deichstraße als Fahrradstraße sorgt in Dormagen für Streit. Auch ein Jahr nach der Einrichtung gibt es noch Probleme.
ZONS/STÜRZELBERG „Ich habe alles für meine Familie und meinen Betrieb versucht, jetzt muss ich mit der Fahrradstraße leben“, sagt Landwirt Hans-Josef Berchem. Ihm gehört der Grenzhof, wo er Erdbeeren und Spargel verkauft. Seinen Hof erreicht man über die Oberstraße oder die Deichstraße. Letztere ist seit dem Frühjahr 2023 eine Fahrradstraße. Das heißt: Sie darf nur vom landwirtschaftlichen Verkehr oder von Anliegern befahren werden, ansonsten dürfen nur Radfahrer unterwegs sein. Das schließt aber nicht aus, dass Kunden mit dem Auto auf seinen Hof kommen dürfen, um etwas zu kaufen. „Sie gelten dann als Anlieger“, sagt Berchem.
Doch obwohl das so ist, bereitet ihm die Fahrradstraße große Probleme. „Wir haben deswegen 35 Prozent Verlust gemacht“, erzählt er. Dass diese Straße für ihn verheerende Folgen haben würde, war ihm bewusst. In zwei Instanzen hatte er dagegen vor Gericht geklagt – ohne Erfolg. „Meine Befürchtungen sind jetzt wahr geworden.“
Doch neben den Verlusten muss der Landwirt auch mit Anfeindungen umgehen. Denn es werde nicht gutgeheißen, auf der Deichstraße mit dem Auto unterwegs zu sein. „Autofahrer bekommen den Vogel oder den Mittelfinger gezeigt, es ist auch schon vorgekommen, dass sie bespuckt wurden.“Ihn ärgert die Unkenntnis, eigentlich werde auf dem Schild deutlich, dass Anlieger und landwirtschaftlicher Verkehr den Weg befahren dürfen.
„Auch meine Mitarbeiter, die in einem Auto unterwegs sind, gelten als landwirtschaftlicher Verkehr.“
Ob jemand unerlaubt auf der Fahrradstraße unterwegs ist, kontrolliert die Polizei. Fahrer müssen dann ihren Führerschein und ihren Ausweis vorzeigen, je nachdem, wie viele Personen gerade unterwegs sind, kann das auch dauern. „Kunden sagten mir, dass sie nicht mehr bei mir einkaufen, weil sie nicht wie Straftäter behandelt werden möchten – obwohl sie nur Erdbeeren oder Spargel kaufen wollen.“Das kann Berchem nachvollziehen. „Die Fahrradstraße ist für mich schon fast geschäftsschädigend.“Er bedauert, dass die Stadt nicht mehr Aufklärungsarbeit betrieben hat. Er hat das Gefühl, dass nicht jedem Radfahrer die Regeln auf der Fahrradstraße bewusst sind.
Um zu ihren Tieren zu fahren, muss Anne Wissdorf vom Bahleswinkelhof in Stürzelberg ein Stück auf der Deichstraße entlang fahren. „Die Radfahrer machen ungern Platz für landwirtschaftlichen Verkehr“, sagt sie. Sie muss dann versuchen, mit ihren breiten Maschinen vorbeizukommen. „Ich wünsche mir, dass beide Parteien Rücksicht aufeinander nehmen.“Das heißt: Die Landwirte fahren langsamer, Radler und Fußgänger machen für die Landwirte Platz, damit die ihrer Arbeit nachgehen können.
„Manchmal denken die Menschen, der Weg gehört ihnen alleine“, so Wissdorf. Wenn Personen auf der Fahrradstraße unterwegs sind, betreten sie die Felder oder die Wiesen ihres Hofs. Es komme auch vor, dass sie den Hundekot nicht wegräumen. Als die Landwirtin Personen in der Vergangenheit darauf aufmerksam gemacht hatte, wurde sie angespuckt, erzählt sie.
Die Deichstraße ist Eigentum des
Deichverbandes, dieser hat dort ein Durchgangsrecht. Deichgräf Joachim Fischer ist regelmäßig auf der Fahrradstraße unterwegs, wenn er Deichaufsicht hat. Böse Blicke von Radfahrern bemerkt er nicht, obwohl er mit dem Auto unterwegs ist. Er habe den Eindruck, dass sich das Aufsehen um die Fahrradstraße mittlerweile gelegt habe.
Das sieht die Stadt ähnlich, wie Pressesprecher Nils Heinichen auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt. Aus Sicht der Straßenverkehrsbehörde hat sich die Fahrradstraße bewährt. Zu Beginn der Einführung gab es vor allem von Radfahrern positive Rückmeldungen.
Zuständig für die Kontrollen des Verkehrs auf der Fahrradstraße ist die Polizei, erklärt Heinichen. Die Beamten führen „im Rahmen ihrer Möglichkeiten Kontrollen durch“, die genaue Anzahl sei ihm nicht bekannt. Das Ordnungsamt befährt die Deichstraße bei den regulären Kontrollfahrten und beobachtet die Situation. Zudem finden regelmäßig Laserkontrollen statt, die in der Fahrradsaison verstärkt werden.
Von Radfahrern, die Autofahrern den Vogel oder den Mittelfinger zeigen oder sie sogar anspucken, weiß das Ordnungsamt nichts, so Heinichen. Im Laufe des Monats gab es lediglich vereinzelte Hinweise von Anwohnern, dass die Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde dort überschritten werde.
Das Bedauern von Berchem, es sei zu wenig Aufklärungsarbeit betrieben worden, kann Heinichen nicht nachvollziehen. Vor Einrichtung der Fahrradstraße sei das Thema aufgrund der Beschwerden und des Klageverfahrens präsent gewesen, es sei zum Beispiel über die Regeln und das Verhalten auf einer Fahrradstraße informiert worden. „Weitergehende Aufklärungsarbeit ist nicht erfolgt. Die Beschilderung ist aus unserer Sicht deutlich sichtbar und verständlich“, sagt der Pressesprecher. Die Stadt findet die Fahrradstraße positiv: Der Durchgangsverkehr sei zurückgegangen, deshalb sei es auf der Straße sicherer. Jetzt plant die Stadt die Prüfung weiterer Fahrradstraßen. Für Strecken wie die Vom Stein-Straße, den Holzweg und den Verbindungsweg Holzweg und Dr.-Geldmacher-Straße wurde die Prüfung schon beantragt.