Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Neben Moscheen gibt es in Sarajevo Synagogen, katholische und orthodoxe Kirchen. Dann kam der Bürgerkrieg mit der Belagerung der bosnischen Stadt. Ein Besuch.
Vucko kennt fast jeder. Das Wölfchen. Zumindest, wenn es seinen Kopf in den Nacken legt und herzzerreißend jault: „Sarajevooooo“. Es war ein Ruf in die Welt und der Aufruf an die Völker, in die bosnische Stadt zu kommen, zu den Olympischen Winterspielen dort. 1984 war das. Bis heute ist das kleine Maskottchen weltberühmt. Und seine Stadt wurde und ist es auch.
40 Jahre später stehe ich auf der verwilderten Hügelkette, die Sarajevo zu umarmen scheint. Die einst olympische Bob-Bahn dort hat sich in eine verrottete Betonröhre mitten im Wald verwandelt, in den steilen Kurven mit grellen Graffiti übersät. Micky Maus ist darunter zu erkennen. Auch zu solchen Ruinen kommen die Touristen, zu Stätten, die man unter dem Etikett Lost Places weiter zu vermarkten versucht. Und da sind die kreisrunden Löcher in der Bahn; Schießscharten des 20. Jahrhunderts. Denn von hier schossen serbische Soldaten auf Menschen aus Sarajevo, belagerten die bosnische Stadt im Bürgerkrieg 1425 Tage lang. 10.612 Menschen starben im Hagel der Granaten, durch die Kugeln der Scharfschützen. Unter ihnen 1600 Kinder.
Von den Hügeln sieht man überall im Stadtgebiet die vielen kleinen Friedhöfe. Mit ihren weißen Stelen sehen sie aus der Ferne wie Gänseblümchenwiesen aus. Was für ein trügerisches Bild für Orte von Trauer und Verlust. Nur zehn Jahre nach den Olympischen Winterspielen war „Sarajevooooo“zum Klagelied einer Stadt geworden, die einst für ihre Toleranz gerühmt wurde, für das friedliche Zusammenleben der Religionen über Jahrhunderte hinweg.
Das hat auch mit Dževad Karahasan zu tun, dem bosnischen Schriftsteller, der seine Stadt über alles geliebt hat. Ein Botschafter der Toleranz. Ein Menschenfreund. Der große Missionar der Völkerverständigung, der gerade in Zeiten von Hass und Krieg mit vielen Preisen geehrt wurde. Mit dem Goethe-Preis, dem Herder-Preis, dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, der Ehrengabe der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Gesellschaft. Dževad Karahasan war einer der freundlichsten und vorbehaltlos liebenswertesten Menschen, denen ich begegnet bin.
Seinetwegen vor allem bin ich nach Sarajevo gefahren. Wegen eines Versprechens, das ich nicht eingelöst hatte. Wir waren einander in den vergangenen Jahren immer wieder begegnet. Und jedes Treffen endete mit seiner Einladung, ihn doch einmal in Sarajevo zu besuchen. Dann würde er mir die Stadt zeigen