Nordwest-Zeitung

Es geht um Sekunden – oder die Ewigkeit

Kollegen retten BBS-Lehrer *nno Kook mit Beatmung und Druckmassa­ge das Leben

- VON MARL GESLHONKE

Der 42-Jährige war bereits klinisch tot. Heute weiß der Oldenburge­r, dass es jeden und immer treffen kann.

OLDENBURG – EinLzlich lag er da. Einfach so. Hat sich nicht mehr gerührt. Kein Atemzug, der die Nasenflüge­l erbeben ließ. Kein Schlag, der das noch junge Herz rührte. „Und dann lief er auch noch blau an“, erinnert sich Ralf Steenken-Singel an das bis dahin so launige Fußballspi­el mit den Kollegen im Januar.

Was damals in der Donnerschw­eer Halle genau passiert war, weiß niemand mehr so genau. Enno Kook am wenigsten. Schließlic­h war der 42Jährige – Lehrer für Wirtschaft und Verwaltung an der BBS Haarentor – für einige Minuten klinisch tot. An diesen Gedanken hat er sich mittlerwei­le nach tagelangem Koma und Wochen der intensivme­dizinische­n Betreuung zwar irgendwie gewöhnt, ihn aber wohl kaum realisiert. „Ich war ja weder physisch noch psychisch dazu bereit, mich mit dem faktischen Tod zu beschäftig­en“, wird er neun Monate später sagen.

Hacke, Spitze, Tod oder Leben? Für solche Nebensächl­ichkeiten hatten sein Mitspieler Ralf (52) und Kollege Frank Becker (46) im Januar indes keine Zeit. Als Enno „wie vom Schlag getroffen plötzlich zwischen uns lag, haben wir einfach was gemacht“. Und das war gut so. Ganz offensicht­lich. Der eine geschockte Mitspieler rief sofort den Notarzt, ein anderer machte sich auf die Suche nach einem Defibrilla­tor, der nächste wartete vor der Halle auf den Rettungswa­gen. Ralf übernahm derweil die Beatmung, Frank die Herzdruckm­assage. Im Ohr den BeeGees-Klassiker „Stayin’ alive“, unter den Handballen die Brust des Kumpels Enno. Alles griff damals „nahezu optimal“ineinander, lobt Jörg Gellern (verantwort­lich für den Rettungsdi­enst in Oldenburg) – und meint damit sicher nicht nur Franks belebende Finger. Wohlwissen­d, dass auch die Rahmenbedi­ngungen für eine erfolgreic­he Lebensrett­ung Kooks schlichtwe­g stimmten: Steenken-Singel war früher Krankenpfl­eger, das sportliche Rest-Kollegium überdies regelmäßig in der ersten Hilfe geschult – am Gummi-Dummy. Jetzt konnten sie sich in der Realität beweisen, am echten Menschen. Am Kollegen. Und taten es. Für die kurz darauf eintreffen­den Rettungsdi­enste war es ein Glücksfall, mehr noch aber für Enno Kook. Denn der beherrscht die Reanimatio­n zwar auch in- und auswendig, war aber bekanntlic­h just verhindert...

Operation, künstliche­s Koma, Reha. Viel Zeit hatte Kook nach seinem zwischenze­itlichen Tod, um über diesen einschneid­enden Moment im Januar nachzudenk­en. Über das, was ihm passierte. Über das, was um ihn herum passierte. Einen Reim kann er sich bis heute nicht darauf machen. Auch, weil ihm einige Lebenswoch­en schlagarti­g aus dem Gedächtnis radiert wurden. Das klingt nach einem eigentlich sinnvollen Reflex des Körpers. Nur: „Er weiß, dass wir etwas wissen, was er nicht weiß“, sagt Steenken-Singel fast bedauernd. Man lässt es auf sich beruhen, dies alles. Den Sturz. Die bangen Momente. Den Kampf um sein Leben.

Für Enno ging es um Sekunden. Oder die Ewigkeit.

Als sie kämpften, liefen sie im Autopilote­n. Als die Rettungsdi­enste übernahmen, kamen die Zweifel. Ob denn wohl alles seine Richtigkei­t hatte. Ob sie ihrem Enno nicht mehr geschadet als geholfen haben. „Wir haben sehr lange darüber gesprochen“, sagt Frank Becker. Erleichter­ung machte sich erst breit, als der Notarzt beim Abtranspor­t den Daumen streckte und rief: „Alles gut gemacht!“. Mittlerwei­le sind die bedrückend­en Bilder raus aus ihren Köpfen, der Alltag hat dort längst wieder Einzug gehalten.

Auch bei Enno Kook. „Ich bin einfach froh, wie es letztlich ausgegange­n ist“, sagt er, auch wenn das Thema „latent immer wieder in den Blick“gerate. Der gebürtige Ostfriese wird bis zum – mindestens – zweiten Lebensende Medikament­e nehmen müssen, obwohl ihm im Krankenhau­s „gleich ein Defibrilla­tor verbaut“wurde, wie er sagt.

Fußball verbietet sich für ihn, zumindest aktiv. In der Schule arbeitet er wieder voll. So, als ob nie etwas passiert wäre. Trotzdem bleibt Kook deutlich sensibler für Details in Kopf und Körper – vor allem, „wenn ich plötzlich Schmerzen in Brust oder Arm verspüre“. Denn die tatsächlic­he Ursache seines Herzstills­tands mit gerade einmal Anfang 40 bleibt unklar.

Dass es jeden und immer „aus heiterem Himmel“treffen kann, weiß er nun. Ja doch, selbst ihn! Gut zu wissen also, dass andere einen nicht aufgeben, wenn es der eigene Körper vielleicht längst getan haben mag.

Druck. Druck. Druck. 100 Mal pro Minute. Immer und immer wieder.

 ?? BILD: KLINIKUM M LUKAS LEHMANN ?? Nachgestel­lt: Ralf Steenken-Singel (r.) und Frank Becker (l.) kämpften mitsamt ihrer Kollegen und Mitspieler um das Leben von Enno Kook. Mit Erfolg: Alle Schritte griffen ineinander, die Erste-Hilfe-Schulungen hatten sich bezahlt gemacht.
BILD: KLINIKUM M LUKAS LEHMANN Nachgestel­lt: Ralf Steenken-Singel (r.) und Frank Becker (l.) kämpften mitsamt ihrer Kollegen und Mitspieler um das Leben von Enno Kook. Mit Erfolg: Alle Schritte griffen ineinander, die Erste-Hilfe-Schulungen hatten sich bezahlt gemacht.
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BILD: MARL GESLHONKE Dank Dummy: Kooks Kollegen retteten dem 42-Jährigen das Leben.

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