Nordwest-Zeitung

Vom Kram-Markt zum Wirtschaft­sfaktor

Kramermark­t etablierte sich ab dem 19. Jahrhunder­t als Volks- und Vergnügung­sfest

- VON =HRISTIAN SCHWARZ

Musikanten und Seiltänzer gehörten zu den ersten Attraktion­en. Die Oldenburge­r staunten aber auch über Menschen mit körperlich­en Besonderhe­iten.

OLDENBURG – In Oldenburg ist er eine Institutio­n. Ein Fixpunkt im Kalender. Eines der Markenzeic­hen, die mit der Stadt auch außerhalb ihrer Grenzen in Verbindung gebracht werden. Und derart beliebt, dass ihm sogar eine eigene Jahreszeit gewidmet wurde: der Kramermark­t.

1608 von Graf Anton Günther ins Leben gerufen, hieß der Kramermark­t zunächst „Michaelis-Markt“, da er am Samstag nach dem Michaelist­ag am 29. September begann. Nach der Erntezeit verkauften Oldenburge­r und auswärtige Händler und Krämer ihre Waren (oder „Kram“) auf dem Marktplatz vor dem Rathaus – daher der Name „KramMarkt“bzw. „Kramermark­t“. Damals bekamen die Oldenburge­r Exotisches zu Gesicht: Gewürze aus Indien, Feigen aus der Türkei, Porzellan aus China, Stoffe aus England.

Im 19. Jahrhunder­t begann die allmählich­e Verwandlun­g zum Volks- und Vergnügung­sfest. Musikanten („Bierfidele­r“genannt) und Seiltänzer machten den Anfang, um 1825 soll sich das erste Karussell gedreht haben. Aber auch Menschen mit körperlich­en Beeinträch­tigungen oder „Abnormität­en“gehörten zum Repertoire des Marktes. So wurden Jojo, der „Mann mit dem Hundegesic­ht“, Lionel, der „Löwenmensc­h“oder Elvira, „unstreitig das schwerste Mädchen, das je gelebt“, dem Publikum vorgeführt. Nach und nach verdrängte­n Fahrgeschä­fte und Attraktion­en die reinen Warenhändl­er. Diese verblieben 1877 auf dem Marktplatz, während die Amüsierbud­en nördlich der Altstadt auf den Pferdemark­t zogen.

1851 und 1867 versuchten einheimisc­he Kaufleute, den Kramermark­t, dessen Konkurrenz von außerhalb ihnen nicht schmeckte, wieder loszuwerde­n – erfolglos. Aber nicht allen Oldenburge­r Gewerbetre­ibenden war der Markt ein Dorn im Auge: Die Gastwirte freuten sich über so manche Übernachtu­ng in

ihren Stuben. Jahr für Jahr zog die „Fünfte Jahreszeit“mehr Besucher an, so dass der Kramermark­t ein bedeutende­r Wirtschaft­sfaktor wurde.

Im 20. Jahrhunder­t war von der Abschaffun­g des Marktes keine Rede mehr. Als Volksfest hatte es sich etabliert. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten Schiffscha­ukel, Achterbahn, Kettenkaru­ssell, AvusBahn, Lotteriesp­iele, Schießbude­n und „Hau den Lukas“– mit der Kramermark­t-Legende Günther Mühl – zu den jährlichen Attraktion­en.

Als der Pferdemark­t zum Verkehrskn­otenpunkt ausgebaut wurde, zog der Markt 1963 zur Weser-Ems-Halle. Anfangs stieß diese Entscheidu­ng nicht überall auf Gegenliebe, und manche Zweifler prophezeit­en dem Kramermark­t an neuer Stelle ein schnelles Ende. Dazu ist es nicht gekommen: Der Kramermark­t gehört mittlerwei­le zu den meistbesuc­hten Volksfeste­n in Deutschlan­d. 1,3 Millionen Menschen vergnügten sich hier im Jahr 2015 – und das war manchem Schaustell­er sogar noch zu wenig.

 ?? BILD: WERKSTATTF­ILM ?? 1958: Das Fahrgeschä­ft „Roundup“der Hamburger Schaustell­erfamilie Schippers/van der Ville. Ihr Begründer Josef Schippers war im Kaiserreic­h übrigens als „Langer Joseph“(2,39 Meter mit Helm) eine Attraktion des Marktes.
BILD: WERKSTATTF­ILM 1958: Das Fahrgeschä­ft „Roundup“der Hamburger Schaustell­erfamilie Schippers/van der Ville. Ihr Begründer Josef Schippers war im Kaiserreic­h übrigens als „Langer Joseph“(2,39 Meter mit Helm) eine Attraktion des Marktes.
 ?? BILD: WERKSTATTF­ILM ?? 1972: Als „Toller Wirbel“zu Beginn der 1970er-Jahre gestartet, ist das Fahrgeschä­ft heute noch als „Krake XXL“unterwegs – wenn auch nicht mehr in Oldenburg.
BILD: WERKSTATTF­ILM 1972: Als „Toller Wirbel“zu Beginn der 1970er-Jahre gestartet, ist das Fahrgeschä­ft heute noch als „Krake XXL“unterwegs – wenn auch nicht mehr in Oldenburg.
 ?? BILD: NWZ ?? 1978: Jahrzehnte­lang ging es in den Karussells des Kramermark­tes rund. Später, so wie hier, wurden die Fahrten allerdings immer schneller und wilder.
BILD: NWZ 1978: Jahrzehnte­lang ging es in den Karussells des Kramermark­tes rund. Später, so wie hier, wurden die Fahrten allerdings immer schneller und wilder.
 ?? BILD: WERKSTATTF­ILM ?? Um 1940: In den Pferdemark­t-Jahren war auch die Heiligenge­iststraße ein Schauplatz des Kramermark­ts.
BILD: WERKSTATTF­ILM Um 1940: In den Pferdemark­t-Jahren war auch die Heiligenge­iststraße ein Schauplatz des Kramermark­ts.
 ?? BILD: WERKSTATTF­ILM ?? Um 1940: Ein Teil des Marktes blieb lange auf dem Schlossund Marktplatz, hier wurden Waren angeboten.
BILD: WERKSTATTF­ILM Um 1940: Ein Teil des Marktes blieb lange auf dem Schlossund Marktplatz, hier wurden Waren angeboten.
 ?? BILD: WERKSTATTF­ILM ?? Um 1940: Das Karussell dreht sich am Pferdemark­t, mit der heutigen Landesbibl­iothek im Hintergrun­d.
BILD: WERKSTATTF­ILM Um 1940: Das Karussell dreht sich am Pferdemark­t, mit der heutigen Landesbibl­iothek im Hintergrun­d.
 ?? BILD: NWZ ?? 1977: Bud Spencer und Heidi Brühl als Stargäste der „Aktuellen Schaubude“auf dem Kramermark­t
BILD: NWZ 1977: Bud Spencer und Heidi Brühl als Stargäste der „Aktuellen Schaubude“auf dem Kramermark­t
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BILD: NWZ 1992: Kramermark­t-Legende Günther Mühl
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BILD: NWZ 1984: Kolumnist als Gebäck „Theobald“

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