HERR MÜLLER, DIE VERRÜCKTE KATZE UND GOTT
Eohammad kam erst beim zweiten Versuch hoch. Verzweifelt sagte er: „O Mann. Und ich dachte vorhin, der Kaffee schmeckt bloß deshalb so entsetzlich, weil ihr Europäer das nicht könnt. Ich kann nichts essen? Das schmeckt alles wie . . .?“
Er sprach es nicht aus. Es war schlimm genug, den Geschmack noch im Mund zu haben. John nickte. „Bis zum Jüngsten Tag halt“, sagte er mit diesem Ton von Mitgefühl in der Stimme, den auch Ärzte anschlagen, wenn sie mit Todkranken sprechen; wohlgemerkt Ärzte, die selbst noch nie in ihrem Leben wirklich Schmerzen gehabt haben. Abu dagegen grinste. Das war sicher Mohammads Strafe dafür, dass er vom Glauben abgefallen war. Mohammad dagegen verbarg kurz das Gesicht in den Händen. Dann straffte er sich.
„Ich werde nicht bis zum Ende aller Tage verflucht sein. Ich nicht!“, schrie er.
Eine junge Mutter, mit zwei Töchtern an der Hand auf dem Weg zum Kindergarten, drehte sich flüchtig nach ihm um, nahm das jüngere Kind auf den Arm und erklärte dem anderen mit ruhiger Stimme: „Siehst du, Marie-Clothilde, das kommt, wenn man zu viel Crystal Meth konsumiert. Crystal Meth ist überhaupt nicht gut für deinen Körper. Deswegen habe ich dir Karotten in deine Lunchbox getan. Biologische. Biologische Karotten sind viel besser, wenn man . . .“
Der Rest ihrer Erklärung wurde vom Straßenlärm verschluckt. Mohammad sah der Frau fassungslos nach. Der Hund aus dem Café schnupperte an dem Apfel, den Mohammad hatte fallen lassen, fand ihn ansprechend und fraß ihn auf.
„Wir“, sagte Mohammad mit unterdrückter Wut, wobei er John fest am Arm nahm, „finden jetzt Kurt Müllers Seele. Wir retten jetzt die Welt. Ich habe keine Lust, die Moslemausgabe von Kapitän Barbossa zu werden.“
John sah ihn wieder einmal verständnislos an, aber Mohammad zog ihn energisch mit sich fort.
Zehn Minuten später betraten sie ein schmuddeliges Internetcafé. Die Schaufensterscheiben waren mit zahlreichen Plakaten zugeklebt, von denen die meisten so ausgeblichen waren, dass alle Farben sich auf ein einheitliches Hellblau reduziert hatten und die Texte kaum noch lesbar waren. Auf wackligen Holztischen standen festgeschraubte Bildschirme, von denen manche flackerten und andere von den Rändern her allmählich mit schwarzen Schlieren zuwuchsen. Die Tastaturen waren mit Drahtseilen an die Tische gekettet. Es war kein Raum, in dem man Seminare zu Vertrauen und Nächstenliebe hätte abhalten wollen. Mohammad musterte die Preisliste, die an der Wand hinter der Frau an der Kasse hing.
„Wir hätten gerne das Vierstundenangebot mit zwei Rechnern“, sagte er.
Die Frau telefonierte offenbar gerade mit einer Freundin, der sie mitteilte, wie widerlich sie ihren Job in dieser verranzten Internetbude fand, tippte aber nebenbei gelangweilt etwas in ihre Kasse, riss den Bon ab und schob ihn zu Mohammad hinüber.
„Achtzehn Euro“, raunzte sie in ihr Handy, ohne ihn anzusehen. Mohammad zögerte etwas, weil er nicht wusste, wer gemeint war.
„Hast du was an den Ohren?“, fragte die Frau ihren Telefonpartner, ohne die Augen zu Mohammad zu erheben. Der hätte das in seinem früheren Leben als Islamist für eine Frau eigentlich geziemend gefunden, aber seit er tot war, zog er es vor, wenn die Leute ihn wahrnahmen.
„Nein, nicht du“, erklärte die Frau ihrem Handy, „der Kameltreiber vor mir. Acht Zehn Eu Ro!“, rief sie überdeutlich über den Tresen. „Du da! Ja! Du!“Sie stach mit dem Zeigefinger in die Luft. „Sprichst du meine Sprache? Hallo?“
Mohammad ließ seinen Blick suchend umherschweifen, ob sie vielleicht jemand anderen meinte. Okay. John sah in seiner Franziskanerkutte wirklich etwas eigenartig aus. Abu trug immer noch die geschwärzte, an den Hand- und Fußgelenken stark ausgefranste Uniform und seinen Turban. Er selbst wirkte gerade bestimmt nicht, wie man sich den edlen Araber so vorstellt. Aber das war noch lange kein Grund, zu Ausländern unhöflich zu sein, fand er.
„Ich glaube, ich habe mein Anliegen vor einer Minute grammatikalisch völlig korrekt vorgetragen“, antwortete er. Erst in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er seit seiner etwas überstürzten Ankunft im Himmel kein Arabisch mehr sprach, sondern . . . er wusste nicht genau, was es war . . . Universal? Jedenfalls schien die Sprache, die er eben gebrauchte, Deutsch zu sein. Perfektes Deutsch. Anscheinend gab es wenigstens einen Vorteil, wenn man zu ewiger Wanderschaft auf Erden verdammt war.
„Langweil mich nicht, Kameltreiber“, gab die junge Frau an der Kasse aggressiv zurück. „Was seid ihr drei eigentlich? Eine Boygroup für obdachlose Minderheiten? Achtzehn Euro!“
Abu mischte sich mürrisch ein.
„Bezahl doch endlich“, verlangte er. „Die geht mir auf die Nerven, und ich würde gerne anfangen. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“
„Eigentlich schon“, warf John gewissenhaft ein. „Eigentlich habt ihr beide Zeit bis zum Jüngsten Tag.“
Mohammad drehte sich zu John.
„Das ist nicht hilfreich“, sagte er gerade noch höflich, „und wenig witzig.“
Die junge Frau sprach wieder mit ihrem Handy.