Nordwest-Zeitung

Syrer feiern Festnahme von verdächtig­em Syrer

Drei Landsmänne­r beendeten Flucht von Dschaber al-Bakr – Aus Angst vor IS abgetaucht

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

LEIPZIG – Der Syrer aus der fünften Etage ist für viele ein Held, die Kanzlerin hat ihn gelobt, Leipzigs Oberbürger­meister hat ihm gedankt. Doch Ali ist heute nicht zuhause. „Er hat Angst und traut sich deshalb nicht mehr in seine Wohnung“, sagt sein Nachbar Ammar (26) in der Plattenbau­siedlung.

Ali bleibt ein Held ohne Gesicht. Ammar sagt, Ali habe keine Angst, dass ihm Dschihadis­ten die Tür eintreten könnten. Er sorge sich nur um seine Eltern und die Geschwiste­r, die immer noch in der syrischen Stadt Deir asSaur leben, in einem Gebiet, in dem die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) herrscht.

Ammar erinnert sich: Am Samstag kommt er am frühen Abend zurück in seine Wohnung im Leipziger Stadtteil Paunsdorf. Vor der Haustür wartete ein Syrer, der zu seinem Nachbarn Ali will. Weil es draußen kalt ist, schlägt Ammar dem Landsmann vor, bei ihm in der Wohnung zu warten, bei einem Glas Tee.

Sein Nachbar Ali kommt so etwa gegen 19 Uhr in Begleitung eines Freundes. Auch ein Unbekannte­r ist dabei. Ali sagt, der Unbekannte sei ein Syrer, der gerade erst in Deutschlan­d angekommen sei. Er habe ihn eingeladen bei ihm zu schlafen.

Dass der Unbekannte schon länger in Deutschlan­d ist, dass er einen Anschlag im Auftrag des IS geplant haben soll und dass er auf der Flucht vor der Polizei ist, ahnt Ammar zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Er wirkte absolut unauffälli­g, hatte nur einen Rucksack dabei“, sagt er.

Von dem, was in den darauffolg­enden Stunden oben in der Wohnung passiert, bemerkt Ammar nichts. Er paukt deutsche Vokabeln. Der Nachbar von oben sei ein anderer Typ. Nett, ja, aber der Sprachkurs sei Alis Sache nicht.

In der Nacht zum Montag erfolgt der Zugriff durch die Polizei. Ammar schreckt aus dem Schlaf. „Das waren sicher hundert Polizisten, schwer bewaffnet und vermummt“, sagt er. Dann sieht er, wie der „Gast“seines Nachbarn gefesselt in ein Polizeifah­rzeug geschoben wird. Auch Ali und ein weiterer Mann seien von der Polizei mitgenomme­n worden. „Ich habe mich gefragt, ob sie vielleicht etwas Kriminelle­s gemacht haben, erst später habe ich erfahren, was wirklich los war.“

Die deutsche Polizei hatte den zeitweise meistgesuc­hten Terrorverd­ächtigen Deutschlan­ds Dschaber al-Bakr abgeholt – gefesselt mit einem Verlängeru­ngskabel von Ali und seinen Freunden. Ammar bewundert, was Ali getan hat. „Er ist ein Held, denn wenn die Terroriste­n seine Identität herausfind­en, dann werden sie in Syrien seine ganze Familie massakrier­en.“

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