„Das hätte nicht passieren dürfen“
TERROR Wenn ein potenzieller Selbstmordattentäter ganz überraschend Selbstmord begeht
Sachsens Justiz sieht sich nach dem Suizid von Dschaber al-Bakr viel Spott ausgesetzt. Aber auch berechtigter Kritik.
LEIPZIG – Vom „failed state“ist im Zusammenhang mit Sachsen im Netz mittlerweile die Rede, vom gescheiterten Staat, einer „Bananenrepublik“. Nach rechten Krawallen, Angriffen auf Flüchtlinge und Pannen bei Polizeieinsätzen sieht sich der Freistaat Hohn und Spott ausgesetzt – aber auch berechtigter Kritik. Vor allem nach dem Suizid eines Terrorverdächtigen, des 22jährigen Syrers Dschaber alBakr, hinter Gittern stellen sich viele Fragen.
„Einmal zu versagen, ist eine Panne. Mehrfach zu versagen, ist eine Pleite. Und wenn es immer wieder passiert, dann muss man darüber nachdenken, ob es sich hier um institutionelles Versagen handelt“, meint Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt.
Wie ein „Kleinkrimineller“sei der „brisanteste Gefangene der Bundesrepublik“in der JVA Leipzig behandelt worden, ärgert sich Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD). Schaden sei entstanden, Vertrauen in Polizei und jetzt auch Justiz verspielt.
Er geht damit deutlich auf Distanz zu seinem Kabinettskollegen, Justizminister Sebastian Gemkow (CDU). „Das hätte nicht passieren dürfen“, sagt dieser zum Suizid des Terrorverdächtigen. Er übernehme von Amts wegen „natürlich die politische Verantwortung“. Ein Versagen seiner Behörde kann er nicht erkennen. Auch einen Rücktrittsgrund sieht er nicht. Alles sei „lege artis“– also nach den Regeln der Kunst – gelaufen, sagt auch Rolf Jacob, Leiter der Leipziger JVA.
Dass der brisanteste Untersuchungshäftling Deutschlands am Mittwochabend tot am Zellengitter seines Gefängnisses hängt, sei nicht abzusehen gewesen. Auch nicht, nachdem die Haftrichterin bei al-Bakr bereits am Montag eine Suizidgefahr festgestellt hatte. Auch nicht, nachdem al-Bakr, der nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden einen Anschlag mit einer Sprengstoffweste auf einen Berliner Flughafen plante, in den Hungerstreik trat. Und auch nicht, nachdem al-Bakr eine Lampe von der Decke heruntergerissen und eine Steckdose manipuliert hatte. Trotz all dem wurde keine akute Gefahr für einen Selbstmord des potenziellen Selbstmordattentäters gesehen.
„Es gab keine Hinweise auf emotionale Ausfälle“, sagt Jacob. Al-Bakr sei „ruhig und gefasst“gewesen. Gemkow sieht das auch so. „Wir verlassen uns natürlich auf das Votum der Experten.“Wenn Psychologen zu entsprechenden Schlussfolgerungen kommen, „dann ist das für uns erst einmal verbindlich“.
Bei einer Kontrolle um 19.30 Uhr sei noch alles in Ordnung gewesen. Al-Bakr habe auf dem Bett gesessen, sagt Jacob. Als eine Auszubildende eine Viertelstunde später wieder nach ihm schaut, hängt er an dem Zwischengitter hinter der Zellentür. Um seinen Hals das zerrissene TShirt der Anstaltskleidung. Weitere Vollzugsbeamte und die Anstaltsärztin seien „innerhalb von Sekunden“in der Zelle gewesen, hätten sofort mit der Reanimation begonnen, aber ohne Erfolg.
Dennoch sei eigentlich alles richtig gemacht worden, sagt der JVA-Leiter. Auch wenn man sich in der Nachbetrachtung doch kritisch fragen könnte, ob man vielleicht nicht „doch im Hinblick auf die Exponiertheit des Gefangenen ein bisschen zu gutgläubig war“.