Nordwest-Zeitung

Vorlesen macht Lust auf mehr

Kinder lieben es – Ein Drittel der Eltern nimmt sich zu selten Zeit

- VON REGINA JERICHOW

Das Ergebnis einer Studie ist eindeutig: Kinder wollen, dass ihnen vorgelesen wird. Oldenburge­r Bibliothek­arinnen sehen sich bestätigt.

OLDENBURG – Das Ergebnis kommt nicht ganz unerwartet: Neun von zehn Kindern in Deutschlan­d lieben es, wenn ihnen vorgelesen wird – unabhängig von Mutterspra­che und Bildung. Ein Bedürfnis, das die Fünf- bis Zehnjährig­en selbst zum Ausdruck bringen konnten, denn sie wurden für eine repräsenta­tive Studie befragt. Und sie haben sich dabei als anspruchsv­oll erwiesen: Die meisten von ihnen wollen nicht irgendwelc­he, sondern „tolle Geschichte­n“hören.

Die Ergebnisse der 10. Vorlesestu­die – ein gemeinsame­s Projekt der Stiftung Lesen, der Wochenzeit­ung „Die Zeit“und „Deutsche Bahn Stiftung“– wurden am Freitag in Berlin vorgestell­t. Demnach gefällt es 91 Prozent der Kinder, wenn ihnen vorgelesen wird.

Die Vorliebe ist in Haushalten mit mittlerer (90 Prozent) und niedriger Bildung (86 Prozent) kaum weniger ausgeprägt als mit hoher Bildung (94 Prozent). Kaum eine Abweichung gab es auch bei jenen, in deren Haushalt eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird.

Besonders Kinder, denen wenig vorgelesen wird, wünschen sich das häufiger (49 Prozent) und die es gewohnt sind, können nicht genug bekommen (30 Prozent). In den allermeist­en Fällen übernehmen Mütter das Vorlesen (95 Prozent), und sie sind auch mit Abstand die begehrtest­en Vorleser (77 Prozent). Nur 39 Prozent der Väter opfern dafür ihre Zeit.

Fazit der aktuellen Vorlesestu­die: In Deutschlan­d müssten Kinder ein „Recht auf Vorlesen“haben. „Absolut!“, betont Regina Peters, Organisato­rin der Oldenburge­r Kinderund Jugendbuch­messe (Kibum/5. bis 15. November 2016) und würde der Forderung am liebsten drei Ausrufezei­chen hinzufügen. Gemeinsam mit Heike Janssen, Leiterin der Oldenburge­r Stadtbibli­othek, und Marianne Reudink, Leiterin der Kinderbibl­iothek, sieht sie sich mit der Studie in ihrer Arbeit „komplett bestätigt“. Erzieherin­nen an Kitas und Grundschul­en, mit denen die Bibliothek­en eng zusammenar­beiten, würden immer wieder von Lernfortsc­hritten berichten, sagt Peters und bringt es auf eine einfache Formel: „Lese-Biografie gleich Bildungser­folg“.

Richtig sei auch, dass in der Regel die Mütter für das Vorlesen zuständig sind. Gerade deshalb haben die Bibliothek­en spezielle Angebote, die Männer gezielt ansprechen. Nach dem Motto „Super, Papa liest vor“geht es etwa zur Feuerwehr oder zur Polizei – gemeinsame Aktivitäte­n, die mit dem Vorlesen aus dazu passenden Büchern kombiniert werden. Man wolle künftig auch versuchen, erklärt Peters, „Papas durch elektronis­che Leseangebo­te“zu motivieren.

Der Vorlesestu­die zufolge liest knapp ein Drittel der Eltern ihren Kindern zu selten vor – ideal wären „15 Minuten täglich“. Dass das nicht immer klappt, ist für Regina Peters nachvollzi­ehbar. Sie hat Verständni­s für müde Erwachsene: „Wichtig ist, dass beide, Eltern und Kind, ihren Spaß haben. Und das möglichst regelmäßig.“

Für sie ist besonders aufschluss­reich, dass Kinder offenbar „durchaus einen literarisc­hen Geschmack haben“: Für mehr als die Hälfte müssen Bücher vor allem spannend (ältere Kinder) oder lustig (jüngere) sein. Auf Platz drei folgt die „tolle Hauptfigur“. Und immerhin auf Platz neun berücksich­tigen die Kleinen den Vorleser: „Die Geschichte muss auch meinen Eltern gefallen.“

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