Sorgenkinder auf Schuldensünder-Bank
Sieben Nationen reißen die Defizit-Grenze von drei Prozent
BRÜSSEL/BERLIN – Es ist der Tag der Wahrheit für die 28 EUMitgliedstaaten: Bis zum Montagabend mussten die Finanzminister ihre Entwürfe für die Etat 2017 in Brüssel bei Währungskommissar Pierre Moscovici einreichen.
Die Prozedur, in der HochZeit der Staatsschuldenkrise zur Disziplinierung der Regierungen ersonnen, ist so etwas wie ein öffentlicher Offenbarungseid. Der erste Überblick zeigt: Auf der Schuldensünder-Bank der Union sitzen die bekannten Sorgekinder. Frankreich, Portugal, Spanien, Griechenland, Rumänien, Italien und Kroatien werden auch im nächsten Jahr die Defizit-Grenze reißen, die üblicherweise bei drei Prozent liegt. Tatsächlich aber gibt Brüssel schon seit Einführung der Haushaltskontrolle die Höchstgrenze für jede Hauptstadt einzeln vor – und die kann schon einmal deutlich niedriger ausfallen.
Italien beispielsweise reißt im kommenden Jahr bereits mit 2,3 Prozent Neuverschuldung die Stabilitätsvorgaben. Premier Matteo Renzi, der innenpolitisch wegen eines Referendums im Dezember massiv unter Druck steht, bombardiert Öffentlichkeit und EU-Kommission schon seit Wochen mit TwitterNachrichten, in denen er Brüssels Vorgaben als „fragwürdig formuliert“, „bürokratisch“und „theoretisch“abtut. Erreichen wollte er vor allem eines: Rom drängt wegen des Flüchtlingsansturms und der Bewältigung der Erdbebenfolgen auf größeren Ausgabenspielraum. Der Regierungschef möchte seinen Landsleuten zeigen, dass er sich in Brüssel durchsetzen kann.
Frankreichs Finanzminister Michel Sapin wählte einen anderen Weg und schickte satte 78 Seiten nach Brüssel, deren umfangreichen ersten Teil er dazu nutzte, die „wirtschaftspolitische Strategie“seines Landes zu erläutern, die „Gesundung der Staatsfinanzen“zu versprechen und von „entschlossenem Handeln zur Stärkung sozialer Gerechtigkeit und Inklusion“zu sprechen. Was nur wenig an den Zahlen ändert: Paris reißt zum neunten Mal hintereinander die gesetzten Stabilitätshürden – mit einem Defizit von 2,7 Prozent nach 3,3 Prozent in diesem Jahr.
Stammgast auf der Sünderbank ist übrigens Griechenland, das nun seit 21 Jahren keinen ausgeglichenen Etat vorwiesen kann. Athens Haushaltsdefizit liegt bei über sieben Prozent, die öffentliche Verschuldung beträgt 175 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.