Neuordnung
Es ist ein Mantra deutscher und europäischer Orientpolitik, dass es dort angeblich keine militärischen Lösungen gebe. Die Ereignisse in Syrien und im Irak deuten an, dass es sich dabei um eine fatale Fehleinschätzung handeln könnte. Es scheint dort alles auf militärische Lösungen hinauszulaufen, nur werden sich diese Lösungen wohl außerhalb der seit fast 100 Jahren etablierten Strukturen des Vorderen Orients abspielen. Im Klartext: Wir stehen vor einer wie auch immer gearteten Neuordnung der Region – und der Westen steht dabei auf der Verliererseite.
In Syrien ist der Fall Aleppos nahe. Der Westen hat längst das Zeitfenster verpasst, in dem es möglich gewesen wäre, die Assad-Russland-Kombination zu stoppen. Waffen würden die Rebellen in der Stadt heute kaum mehr erreichen. Über Sanktionen lacht Moskau, und direkte Interventionen oder eine Flugverbotszone über Nordsyrien sind undenkbar. Daraus könnte ein Dritter Weltkrieg werden, zudem ist Amerika kriegsmüde, Europa kriegsscheu. Die zur Schau gestellte moralische Entrüstung ist dabei nichts als ein Rückzugsgefecht – und zudem pure Heuchelei: Zivilisten interessieren in der Regel ja auch den Westen nicht die Bohne. Seit Jahr und Tag töten die Amerikaner mit Drohnen Zivilisten. Das saudische Regime – ein geschätzter Verbündeter der Demokratien – massakriert gänzlich unbelästigt im Jemen die Zivilbevölkerung.
Unterdessen schaffen das Nato-Land Türkei und seine syrischen Vasallen vollendete Tatsachen in den Kurdengebieten. So wird die (vorerst informelle) Teilung Syriens vorbereitet. Wie Russland verfolgt Erdogans Türkei imperiale Pläne. Die jüngsten Ausfälle des türkischen Präsidenten gegen seinen irakischen Kollegen, die wüsten Drohungen gegen die irakische Regierung wegen der Zukunft des bald vom Islamischen Staat befreiten Mossul – all das sind Symptome der neo-osmanischen Expansionsgelüste Ankaras. Der Westen aber hat zurzeit weder Einfluss auf Moskau noch auf Ankara. Der Irak und Syrien sind unangefochten deren Spielplätze. Beide Länder dürften daher in Zukunft zu einem Geflecht von Einflusszonen und halbkolonialen Entitäten werden. Das alles gab es ja schon einmal – im 19. Jahrhundert, maßgeblich unter westlicher Vorherrschaft.
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