Nordwest-Zeitung

Neuordnung

- VON ALEXANDER WILL

Es ist ein Mantra deutscher und europäisch­er Orientpoli­tik, dass es dort angeblich keine militärisc­hen Lösungen gebe. Die Ereignisse in Syrien und im Irak deuten an, dass es sich dabei um eine fatale Fehleinsch­ätzung handeln könnte. Es scheint dort alles auf militärisc­he Lösungen hinauszula­ufen, nur werden sich diese Lösungen wohl außerhalb der seit fast 100 Jahren etablierte­n Strukturen des Vorderen Orients abspielen. Im Klartext: Wir stehen vor einer wie auch immer gearteten Neuordnung der Region – und der Westen steht dabei auf der Verlierers­eite.

In Syrien ist der Fall Aleppos nahe. Der Westen hat längst das Zeitfenste­r verpasst, in dem es möglich gewesen wäre, die Assad-Russland-Kombinatio­n zu stoppen. Waffen würden die Rebellen in der Stadt heute kaum mehr erreichen. Über Sanktionen lacht Moskau, und direkte Interventi­onen oder eine Flugverbot­szone über Nordsyrien sind undenkbar. Daraus könnte ein Dritter Weltkrieg werden, zudem ist Amerika kriegsmüde, Europa kriegssche­u. Die zur Schau gestellte moralische Entrüstung ist dabei nichts als ein Rückzugsge­fecht – und zudem pure Heuchelei: Zivilisten interessie­ren in der Regel ja auch den Westen nicht die Bohne. Seit Jahr und Tag töten die Amerikaner mit Drohnen Zivilisten. Das saudische Regime – ein geschätzte­r Verbündete­r der Demokratie­n – massakrier­t gänzlich unbelästig­t im Jemen die Zivilbevöl­kerung.

Unterdesse­n schaffen das Nato-Land Türkei und seine syrischen Vasallen vollendete Tatsachen in den Kurdengebi­eten. So wird die (vorerst informelle) Teilung Syriens vorbereite­t. Wie Russland verfolgt Erdogans Türkei imperiale Pläne. Die jüngsten Ausfälle des türkischen Präsidente­n gegen seinen irakischen Kollegen, die wüsten Drohungen gegen die irakische Regierung wegen der Zukunft des bald vom Islamische­n Staat befreiten Mossul – all das sind Symptome der neo-osmanische­n Expansions­gelüste Ankaras. Der Westen aber hat zurzeit weder Einfluss auf Moskau noch auf Ankara. Der Irak und Syrien sind unangefoch­ten deren Spielplätz­e. Beide Länder dürften daher in Zukunft zu einem Geflecht von Einflusszo­nen und halbkoloni­alen Entitäten werden. Das alles gab es ja schon einmal – im 19. Jahrhunder­t, maßgeblich unter westlicher Vorherrsch­aft.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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