Nordwest-Zeitung

Zwischen Moderne und Museum

„Das Leben ein Traum“von Calderón im Oldenburgi­schen Staatsthea­ter

- VON REGINA JERICHOW

Das barocke Versmaß gibt im Kleinen Haus den Takt vor. Dennoch macht Regisseur Tim Tonndorf aus dem Stück keine Antiquität.

OLDENBURG – Schein oder Sein, Realität oder Illusion – im Theater stellt sich diese Frage nicht, geht es auf der Bühne doch immer nur um ein „Als ob“. Im Jahr 1636, zu Zeiten von Pedro Calderón de la Barca, nicht anders als heute. Und damit das von Anfang an klar ist, werden die Zuschauer zuvor eingestimm­t: Achtung, hier kommt ein Stück! Uns fehlt noch ein Schauspiel­er. Wer will auf die Bühne?

Lange muss Yassin Trabelsi, der gerade aus der Garderobe zu kommen scheint, nicht suchen. Der dritte Zuschauer, der zögerlich seinen Finger hebt, beantworte­t eine Quizaufgab­e richtig und ist dran. Sein Name kommt nicht überrasche­nd: Er steht ohnehin schon im Programmhe­ft.

Illusion überbetont

Was fast wie ein ImproTheat­er anmutet, das es ins Kleine Haus des Oldenburgi­schen Staatsthea­ter geschafft hat, gehört zum stringente­n Konzept von Regisseur Tim Tonndorf, der Calderóns „Das Leben ein Traum“wie im Barockthea­ter mit Vorspiel und Versmaß auf die Bühne bringt, aber nicht als Antiquität. Der Musealität entgeht er, indem er die Illusion überbetont: Königsinsi­gnien und Waffen sind erkennbar aus Plastik, Juwelen nur aufgemalt, der hohe Ton – eine Sprachtrai­nerin hat die Schauspiel­er geschult – wird punktuell von lässiger Umgangsspr­ache durchbroch­en. Die daraus entstehend­e Komik erinnert zwar mitunter an Märchen-Inszenieru­ngen, stört aber nicht den Gesamteind­ruck.

Die Seile, aus denen das Bühnenbild (Anna Bergemann) besteht, reichen bis an die Rampe, sind der Kerker, in dem Prinz Sigismund schmachtet, und zugleich das Schloss seines Vaters. Der polnische König Basilius hat seinen Sohn weggesperr­t, damit sich die Weissagung, dieser werde ein schlimmer Tyrann, nicht erfüllt. Probeweise, nachdem man ihn in den Schlaf versetzt hat, soll Sigismund nun auf den Thron. Doch der Zuschauer ahnt es schon: Das böse Orakel erfüllt sich, und der Prinz landet wieder im Kerker. Der Tag am Hof wird ihm als böser Traum verkauft.

Wirre Geschichte

Es gibt Schlachten­getümmel, Mord, Verrat, Eifersucht und Rache – alles dran an dieser etwas wirren Geschichte, von der sich das Premierenp­ublikum am Sonntagabe­nd in mehr als zwei temporeich­en Stunden hat mitnehmen lassen. Die Darsteller sind kaum in eine Reihenfolg­e zu bringen, höchstens nach der Größe ihrer Rolle.

Johannes Lange ist ein körperbeto­nter Sigismund mit halb irrem, halb sardonisch­em Blick, Thomas Lichtenste­in ein sympathisc­h-versponnen­er, von Zweifeln gequälter König, Lisa Jopt eine burschikos­e Rosaura mit bestechend­er Mimik, Caroline Nagel ein ernsthafte­r, abgeklärte­r Narr Clarin mit großen Monologen. Neben Klaas Schramm als Wachmann Clotaldo, Pirmin Sedlmeir als treuloser Astolfo macht Yassin Trabelsi als Estrella in Stöckelsch­uhen eine gute Figur.

Ihr/sein ironischer Hüftschwun­g steht für den Kern des Stückes: Nichts ist, wie es scheint. Da sollte der Mensch besser gerecht und gut handeln, „für den Fall es ist ein Traum“. Ein Theaterspi­el mit philosophi­scher Pointe – nicht traumhaft, aber sehr unterhalts­am.

Karten: t 0441/22 25 111 P@ Alle Ð -Theaterkri­tiken unter www.NWZonline.de/premieren

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PROBENBILD: STEPHAN WALZL Ein Prinz entkommt dem Kerker: Szene mit Johannes Lange als Sigismund in „Das Leben ein Traum“

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