Deshalb sind wir so glücklich
Deutsche zufrieden wie lange nicht – Nur Ostdeutschland weiter im Stimmungstief
Dr. Jan Kühling (38) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Wirtschaftstheorie an der Universität Oldenburg. Er beschäftigt sich unter anderem mit Glücksforschung.
FRAGE: Herr Kühling, warum sind wir an der Nordsee so glücklich? KÜHLING: Das ist eine schwierige Frage, denn viele Dinge beeinflussen unser Glücksempfinden. Ich glaube aber nicht, dass das unbedingt an der Nordsee-Region selbst liegt, sondern an den Faktoren, die dahinter stehen. Eine Stadt wie Oldenburg ist dafür ein gutes Beispiel. Eine gute Infrastruktur, die Universität, die Nähe zu Bremen und auch die Nähe zum Meer machen die Stadt innerhalb der Region attraktiv und tragen sicherlich positiv zum Glücksgefühl bei. Es ist das Gesamtpaket. FRAGE: Sind die Menschen aus der Nordsee-Region denn dann wirklich so glücklich wie der Glücksatlas es suggeriert? KÜHLING: Mit hundertprozentiger Sicherheit kann man das nicht sagen. Problematisch an der Umfrage finde ich, dass es innerhalb der Nordsee-Region selbst auch starke Unterschiede gibt, die nicht berücksichtigt wurden. Würde man den Glückswert der Menschen in Wilhelmshaven oder Bremerhaven mit einem Ort im südlichen Oldenburg vergleichen, kämen sicherlich ganz andere Ergebnisse heraus, schon alleine wegen der Beschäftigungsquote in diesen Regionen. Pauschal zu sagen, dass die Menschen an der Küste glücklicher sind, ist zu einfach. FRAGE: Kann man diese Umfrage dann überhaupt ernst nehmen? KÜHLING: Generell schon. Zwar geben die Personen sehr subjektive Antworten, denn für jeden ist Glück etwas anderes, doch durch die große Anzahl der Befragten lässt sich ein Durchschnitt ermitteln. FRAGE: Was kann man denn tun, um glücklicher zu werden? KÜHLING: Ein Umzug von Sachsen-Anhalt nach Schleswig-Holstein reicht jedenfalls nicht aus. Das könnte man aus der vereinfachten Darstellung des Glücksatlas’ nämlich herauslesen. Vielmehr ist es eine Typfrage, denn es sind oft Kleinigkeiten, die das Glücksgefühl ausmachen. Optimismus ist aber auch genetisch bedingt und wird durch das Umfeld und äußere Faktoren, wie das Wetter, beeinflusst. Eine Umfrage im Winter wäre sicher anders ausgefallen.
Selbst die Flüchtlingsdebatte drückt die Stimmung nicht. Wer Kontakt zu Einwanderern sucht, ist glücklicher.
BERLIN – Die Vermessung des Glücks in Deutschland lässt Wissenschaftler aufhorchen: Zum ersten Mal seit Jahren sehen die Bundesbürger ihre Welt ein kleines Stück positiver. Auf einer Skala von 0 bis 10 ist die allgemeine Lebenszufriedenheit nach dem neuen Glücksatlas innerhalb eines Jahres von 7,02 Punkte auf 7,11 gestiegen. Die repräsentative Gesellschaftsstudie im Auftrag der Deutschen Post stellten Forscher am Dienstag in Berlin vor.
Was in der nüchternen Zahlensprache nicht gerade nach einer Sensation klingt, ist für Glücksforscher von Bedeutung. Denn für sie heißt der kleine Hüpfer nach oben, dass die sonst eher ängstlichen und sicherheitsbewussten Deutschen zum Beispiel neue Bedrohungen wie die Terrorgefahr oder gesellschaftliche Entwicklungen wie Zuwanderung bisher nicht als Bremse für ihre private Lebenszufriedenheit begreifen. Mit einer Einschränkung: Das gefühlte Glück wohnt eher im Westen der Republik – Ostdeutschland tickt nach wie vor anders.
„Deutschland ist kein Jammertal“, betont Bernd Raffelhüschen, Finanzwissenschaftler an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Mitautor des Glücksatlas. Er hat seit Jahren auf den Sprung nach oben gewartet. Denn das Auf und Ab der subjektiven Lebenszufriedenheit hängt für Glücksforscher auch von objektiven Faktoren wie Beschäftigung, Einkommen und Gesundheit ab. Doch obwohl die Arbeitslosenquote sank und der Reallohn-Index seit 2008 kräftig zulegte, passierte erst einmal nichts.
Für Raffelhüschen ist nun auch bei der Wahrnehmung ein Durchbruch geschafft. „Seit acht Jahren erlebt Deutschland einen Boom mit mehr Einkommen und auch mehr Kaufkraft“, sagt er. „Das gab es so seit den 1960er Jahren nicht mehr. Und das spüren die Leute.“
Für eines der reichsten Länder Europas ist eine gefühlte Zufriedenheitsmarke um die 7 dabei kein beachtlicher Wert. Deutschland liegt damit auf dem neunten Rang, Nachbar Dänemark liegt an der Spitze. Damit wohnen dort die glücklichsten Europäer. Woran also liegt die deutsche Gemengelage?
„Für einen Spitzenplatz reicht das Materielle nicht aus“, betont Karlheinz Ruckriegel, Ökonom und Glücksforscher an der Technischen Hochschule Nürnberg. „Das sieht man schon daran, dass Südbayern als wirtschaftliche Powerstation in Deutschland nicht die glücklichste Region ist.“Das ist seit Jahren das „ärmere“Schleswig-Holstein.
Der kleine deutsche Glückshüpfer hat auch für Ruckriegel vor allem mit dem Thema Beschäftigung zu tun. „Die Befürchtung, den Arbeitsplatz zu verlieren, geht eindeutig zurück“, folgert der Ökonom. Er kann sich aber vorstellen, dass Ostdeutschland trotz Wachstum weiter die bleibende Lücke bei den Lebensverhältnissen spürt und deshalb beim neuen Enthusiasmus nicht voll mitgeht. Das sieht auch Finanzwissenschaftler Raffelhüschen so. „Ostdeutschland hat durch die Wiedervereinigung einen Drive nach unten erlebt und ist aus dem Tal der Tränen noch nicht heraus“, urteilt er.
Raffelhüschen vermutet, dass das im Moment auch mit der Flüchtlingsfrage zusammenhängen könnte. Denn eine deutliche Ost-West-Kluft tut sich im Glückatlas auch bei Fragen nach „kultureller Vielfalt“auf. Danach sehen ostdeutsche Befragte Zuwanderung nur zur Hälfte als Bereicherung, im Westen sind es mehr als zwei Drittel. Für Raffelhüschen liegt dieser Unterschied vor allem an der mangelnden Erfahrung Ostdeutschlands mit Zuwanderung. „Es geht aber wahrscheinlich auch um ein Konkurrenzempfinden bei Menschen, die sich eher als Verlierer sehen“, sagt er.
Eine Schlüsselerklärung für einen positiveren Blick auf Zuwanderung bleibt der persönliche Kontakt: Mehr als die Hälfte der Menschen (58 Prozent), die Migranten persönlich kennen, sind auch bereit, ihnen bei der Integration zu helfen. Ohne Kontakt sind es weniger als ein Drittel (29 Prozent). Und: Je toleranter und hilfsbereiter die Menschen sind, desto glücklicher fühlen sie sich.
„Dieser Effekt ist auch aus anderen Studien bekannt“, sagt Glücksforscher Ruckriegel. „Die größte Bedeutung für unsere Lebenszufriedenheit aber haben immer noch Partnerschaft, Familie, Kinder, Freunde, Nachbarn und die Arbeitskollegen“, betont er. „Der wichtigste Glücksfaktor sind gelingende, liebevolle soziale Beziehungen.“