Nordwest-Zeitung

NACH EU-URTEIL: WERDEN MEDIKAMENT­E GÜNSTIGER?

Europäisch­er Gerichtsho­f kippt Preisbindu­ng für rezeptpfli­chtige Medikament­e

- VON ALKIMOS SARTOROS UND TOBIAS SCHMIDT

Patienten könnten von fallenden Preisen profitiere­n. Experten fürchten jedoch um die wohnortnah­e Versorgung durch Apotheken.

LUXEMBURG – Von GarmischPa­rtenkirche­n bis Flensburg: Ein einzelnes verschreib­ungspflich­tiges Medikament kostet in Deutschlan­d immer dasselbe. Egal, ob man es in einer Online-Apotheke aus dem Ausland bestellt oder vor Ort kauft. Dafür sorgt die Preisbindu­ng für rezeptpfli­chtige Medikament­e. Doch ein wegweisend­es Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) wirbelt den deutschen Apothekenm­arkt gehörig auf.

Die Preisbindu­ng schränke den grenzübers­chreitende­n freien Warenverke­hr ein und verstoße damit gegen EURecht, urteilten die Luxemburge­r Richter am Mittwoch (Rechtssach­e C-148/15). Wenn hingegen Preiswettb­ewerb ermöglicht werde, könnten die Patienten profitiere­n, hieß es.

Das könnte vor allem durch fallende Preise für Medikament­e der Fall sein. „Sie werden billiger werden“, sagte der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach am Mittwoch dieser Zeitung. „Der Versandhan­del mit rezeptpfli­chtigen Medikament­en wird Einzug halten, das ist ganz klar. Der beratungsf­reie Bezug wird günstiger.“

Einheitlic­he Zuschläge

Nach bestehende­r Gesetzesla­ge können Pharmaunte­rnehmen zunächst selbst festlegen, zu welchen Preisen sie Arzneimitt­el an Apotheken und Großhändle­r in Deutschlan­d abgeben. Diese dürfen dann jedoch nur einheitlic­h festgeschr­iebene Zuschläge erheben. Dadurch kostet ein jeweiliges verschreib­ungspflich­tiges Arzneimitt­el überall in Deutschlan­d dasselbe. An die einheitlic­hen Abgabeprei­se mussten sich bislang auch Versandapo­theken mit Sitz im EU-Ausland halten.

Da der grenzübers­chreitende Handel mit rezeptpfli­chtigen Medikament­en EU-Recht berührt, war nun der EuGH mit dem Fall befasst. Die Regelung könne Anbietern aus anderen EU-Ländern den Zugang zum deutschen Markt erschweren, befanden die Luxemburge­r Richter. Zwar könne eine Beschränku­ng des freien Warenverke­hrs mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens gerechtfer­tigt werden, doch die Preisbindu­ng sei dazu nicht geeignet.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) kündigte an, das Urteil auszuwerte­n und auf rechtliche Konsequenz­en zu prüfen. Die aktuelle Preisbindu­ng sei nach dem Urteil nicht mehr auf Versandapo­theken im EUAusland anwendbar, teilte das Gesundheit­sministeri­um mit. Er sei fest entschloss­en, das „Notwendige“und „Mögliche“zu tun, um die flächendec­kende Versorgung durch ortsnahe Apotheken zu sichern, sagte Gröhe weiter. „Der Versandhan­del kann die wohnortnah­e Versorgung durch Präsenzapo­theken nicht ersetzen.“

Klarer Nachteil

Das sieht SPD-Gesundheit­sexperte Lauterbach ähnlich. „Wenn wir nicht gegensteue­rn, könnte die wohnortnah­e Versorgung durch Apotheken gefährdet sein“, fürchtet er. Als Folge des EuGHUrteil­s haben Versandapo­theken mit Sitz im EU-Ausland die Möglichkei­t, künftig die deutsche Preisbindu­ng zu unterlaufe­n – und stationäre­n Apotheken so erheblich zu schaden. „Das können wir aber verhindern“, sagte Lauterbach, „indem wir die Apotheken für ihre Beratungsl­eistung besser bezahlen.“

Die Luxemburge­r Richter zweifelten an, dass Preisbindu­ngen ein flächendec­kendes Netz traditione­ller Apotheken förderten. Vielmehr könne ein Preiswettb­ewerb auch Anreize zur Niederlass­ung in Gegenden bieten, in denen wegen der geringeren Zahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten.

Verbrauche­rschützer sahen die Folgen des Urteils für Patienten zunächst grundsätzl­ich positiv. „Sie könnten bei verschreib­ungspflich­tigen Medikament­en künftig Kosten sparen, wenn Sie bei ausländisc­hen Versandapo­theken bestellen“, sagte etwa der Gesundheit­sexperte des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands, Kai Vogel. Die Folgen für die Apothekenv­ersorgung müssten aber in Ruhe erörtert werden. „Die Forderung eines Versandhan­delsverbot­s für rezeptpfli­chtige Arzneimitt­el wäre die falsche Reaktion. Stattdesse­n sollte überlegt werden, ob deutsche Apotheken nicht den gleichen Spielraum in der Preisgesta­ltung erhalten sollten. Andernfall­s hätten sie einen klaren Standortna­chteil.“

Apothekerv­erbände zeigten sich entsetzt. „Es kann nicht sein, dass ungezügelt­e Marktkräft­e über den Verbrauche­rschutz im Gesundheit­swesen triumphier­en“, sagte der Präsident der Bundesvere­inigung Deutscher Apothekerv­erbände, Friedemann Schmidt. Schmidt.

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