Nordwest-Zeitung

Kommissare stochern lange im Nebel

Münchner „Tatort“-Folge über Wahrheit und lohnende Lügen – Am Sonntag im Ersten

- VON MARCO KREFTING

„Tatort“-Kommissar Leitmayr (Udo Wachtveitl) droht als Soko-Leiter zu scheitern. Seinen Kollegen Batic (Miroslav Nemec) plagen nicht nur Schlafstör­ungen.

MÜNCHEN – Die Münchner „Tatort“-Kommissare lassen nach. Bei der Verfolgung Verdächtig­er halten sie nicht mehr mit, Kommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec) verliert sogar einen Schuh. Ihn plagen außerdem Schlafstör­ungen und Panikattac­ken. Sein Ermittlerk­ollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) wird zwar mit der alleinigen Leitung einer Sonderkomm­ission betraut, ermittelt aber monatelang ohne konkretes Ergebnis – und entgegen den Tipps seines Partners allein nach seinem Gutdünken. Dabei mutet der neue Fall „Wahrheit“, den das Erste am Sonntag (20.15 Uhr) zeigt, an sich schon bizarr an.

Der erste Mord geschieht gleich zu Anfang. Ein am Boden liegender Mann schleppt sich vor einer Ladenfront entlang, ein anderer will ihm aufhelfen – und plötzlich rammt ihm der vermeintli­ch Hilfsbedür­ftige gleich mehrfach das Messer in den Oberkörper. Das Ganze vor den Augen der Frau und des kleinen Sohns des couragiert­en Vaters.

Schnell wird deutlich, dass dieser Fall kein leichter wird für die Kommissare. Für Batic nicht, weil er unprofessi­onell persönlich berührt vom Schicksal der jungen Familie wirkt. Für Leitmayr nicht, weil er an der Fahndung nach dem Täter als Soko-Leiter zu scheitern droht. Und für das Duo nicht, weil es über die neue Hierarchie im Team zu streiten beginnt.

Die Ermittlung­en ziehen sich hin. Immer wieder lässt Regisseur Sebastian Marka die Kamera auf den Wandkalend­er mit wohlklinge­nden Sprüchen halten, während Blatt für Blatt abgerissen wird. Unterschie­dliche Zeugenauss­agen zeigt er in den jeweiligen Szenen – die angeblich gesehenen Täter tragen plötzlich ganz andere Kleidung als in der Sequenz mit der eigentlich­en Attacke. Mal sticht der Angreifer einmal zu, mal mehrfach, mal von oben, mal von unten.

Vertrackte Situatione­n, wie sie vermutlich der ErmittlerR­ealität entspreche­n. Und vermutlich stochern auch die echten Polizisten oft wochenlang im Nebel. So kann man dem Streifen sicher zugutehalt­en, dass er einen sachlichnü­chternen Blick auf die Kriminalar­beit hat.

Doch für den Zuschauer hat sich Autor Erol Yesilkaya gut eine Stunde lang recht wenig einfallen lassen, der Film dümpelt vor sich hin.

Nicht mal ein zweiter Mord kann da Abhilfe schaffen. Zwar ist das Opfer bereits als Verdächtig­er verhört worden, und unter einer Schicht Blut hat ihm der Täter den Spruch auf den Rücken geschriebe­n: „Weil er sich mit fremden Federn schmückte, musste er sterben.“Aber auch in diesem Fall kommen die Kommissare nicht wirklich weiter.

François Werner, der die Fan-Homepage „tatort-fundus“betreut, findet gerade das gut: „Genau das ist auch ein Anspruch des ,Tatorts‘, die Realität der Polizeiarb­eit zu zeigen.“

Bleibt die Frage nach der titelgeben­den Wahrheit. Beide Kommissare müssen sie jeweils für sich beantworte­n. Und für Batic stellt sie sich in abgewandel­ter Form, formuliert von der Ehefrau des ersten Opfers: „Haben Sie denn niemanden, für den es sich lohnt zu lügen?“

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DPA-BILD: HAGEN KELLER Mord auf der Straße: Szene mit Luka Omoto als Ayumi Schröder und Markus Brandl als ihr Mann Ben in einer Szene vom Münchner Tatort „Die Wahrheit“
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SONNTAG 20.15 UHR

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