CHINA WIRD MARKTWIRTSCHAFT
Reich der Mitte wird Marktwirtschaft – Streit um Dumping-Preise
Gegenwärtige Regeln seien unwirksam im Kampf um fairen Wettbewerb, sagt Jean-Claude Juncker. Exportstarke Länder halten sich mit Kritik allerdings zurück.
BRÜSSEL – Es ist die Angst vor dem 11. Dezember, die in Brüssel umgeht. An diesem Tag erlischt ein Zusatzartikel im Beitrittsprotokoll Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) – mit drastischen Folgen. Ausgerechnet das Land in Fernost, dessen Wirtschaft ohne staatliche Lenkung und Subventionierung kaum denkbar ist, wird offiziell zur Marktwirtschaft.
Und damit verliert die EU ihre bisherige Möglichkeit, sich mit Strafzöllen gegen Dumping-Preise auf Billigimporte zu wehren. „Wir sollten nicht naiv sein“, sagte Kommissionspräsident JeanClaude Juncker am Mittwoch, als er eine neue Strategie seines Hauses vorstellte. „Unsere gegenwärtigen Regeln sind unwirksam, wenn es um den Kampf gegen unfairen Wettbewerb geht.“Das Thema gehört zum Zündstoff des an diesem Donnerstag in Brüssel beginnenden Gipfeltreffens der 28 Staats- und Regierungschefs – und spaltet diese in zwei Lager.
Deutschland und einige andere exportstarke EU-Länder wollen lieber nicht allzu scharf gegen Pekings Niedrigpreis-Lieferungen vorgehen, um die Führung im Reich der Mitte nicht zu verärgern. Dagegen stehen vor allem Italien und Spanien auf den Barrikaden, weil sie Europa im Ringen um den Markt für SolarPaneele, Textilien, Keramik, Schuhe und vor allem Stahl auf der Verliererstraße sehen.
In den vergangenen Monaten sind bereits zigtausende Jobs in der europäischen Stahlindustrie weggefallen, weil die hiesigen Unternehmen dem chinesischen Stahl hoffnungslos unterlegen sind. Um welche Dimension es wirklich geht, machte am Mittwoch Kommissions-Vize Jyrki Katainen deutlich: „30 Millionen Jobs hängen direkt oder indirekt vom Export ab.“
Doch die groß angekündigte Offensive, eine Art Instrumenten-Sammlung zur Abwehr künftiger chinesischer Billigimporte, entpuppte sich bei der Präsentation am Mittwoch in Brüssel als eher lascher Versuch, sich durch eine neue Berechnungsmethode aus der Affäre zu ziehen. Angedacht ist nun, durch systematische Länderberichte festzustellen, wo Marktwirtschaft durch staatliche Einmischung begünstigt oder sogar subventioniert werde. Gegenüber solchen Staaten will die EU auch künftig Schutzzölle verhängen können. Dies sei durchaus im Einklang mit den Regeln der WTO.
Die Wirksamkeit ist umstritten, aber selbst die Befürworter sehen die Probleme an ganz anderer Stelle. Denn die EU-Staaten tun sich schwer, eine gemeinsame Position zu finden. Vor allem Großbritannien blockiert seit über drei Jahren jeden Fortschritt in dieser Frage. Inzwischen schwindet auch die Entschlossenheit Deutschlands, Peking und andere DumpingStaaten in die Schranken zu weisen.