Die schlagfertigen Ritter von Schlaraffia
Der eloquente Männerverein wurde 1859 in Prag gegründet – Oldenburgia hat 60 Mitglieder
Kunst, Humor und Freundschaft werden bei den Sippungen gepflegt. Die Ritter sprechen Schlaraffen-Latein und tragen Rüstungen.
OLDENBURG – Andächtig schreitet der stattliche Herr in der bodenlangen Robe an Ahnentafeln und gerahmten Orden vorbei, stoppt vor dem Podest der Obersten, zückt sein Zepter und spricht: „Wir, der Ritter Stillvergnügt, des Reyches Pünktchen, eröffnen die – äh – 3584. Sippung.“
Gero Jänicke ist kurzsichtig. Ritter Stillvergnügt auch. Im Alltag kann das lästig werden, aber in Schlaraffia stört sich keiner an den Unannehmlichkeiten des Lebens. Aufmüpfige werden ins Verlies, die Baasburg, gesperrt – oder zum Oberschlaraffen ernannt. So wie Gero Jänicke, der seit 27 Jahren Stillvergnügt ist. Genauer gesagt seit 69 Jahren. Aber als Ritter wird selbst ein Freigeist wie der Oldenburger nicht geboren. Anfangen musste auch er vor über einem Vierteljahrhundert als schnöder Prüfling. Natürlich erst, nachdem er seine Pilgerschaft beendet hatte.
„Was ist denn das fürn Haufen? Lauter erwachsene Männer in Rüstungen, die komisch reden.“An seine erste Audienz auf Burg Uhlenhorst der Schlaraffia Oldenburgia kann sich der damalige Berufsoffizier noch ganz gut erinnern. Bis er festgestellt hat: „Die wollen nur spielen.“Das hat ihm gefallen. „An der Tür lege ich meinen profanen Namen – und alle Sorgen ab“, sagt er.
Frauenfreie Zone
Schlechte Launen sind bei den Schlaraffen nicht zugelassen. Frauen auch nicht. „Aus Tradition“, sagt Gero Jänicke und erzählt von den Ursprüngen im Prag des mittleren 19. Jahrhunderts, wo sich Schauspieler und Musikanten, von den Freimaurerlogen ausgegrenzt, zum Bund der Proletarier und schließlich den Schlaraffen vereinten. Während sich in der Welt seither viel verändert hat, ist der Männerbund bemüht an den Idealen von 1859 festzuhalten. „Kunst, Humor und Freundschaft“, sagt Gero Jänicke. Politik, Religion und Zoten, vor allem die unter der Gürtelline müssen draußen bleiben. Willkommen seien Männer aller akademischen Grade, Glaubensrichtungen und Gehaltsklassen. Von den 60 Sassen – Knappen, Junkern und Rittern – der Burg Uhlenhorst ist der Jüngste 30, der Älteste Anfang 90. „Und bis zum letzten Atemzug lasst uns Schlaraffe bleiben“, schwört ein jeder beim Einzug ins ritterliche Dasein.
Einmal die Woche schieben sich Herren aus ganz Oldenburg in Jeans und Anzügen durch den Schmalen Hauseingang am Friedensplatz, um sich mit bedeckten Häuptern – so schreibt es das schlaraffische Gesetz vor – in Da Da Lust von Seidenschal, Vokabius ohne Ha, Ad-hoc, der kanntige Pellwormer oder Stillvergnügt des Reyches Pünktchen zu verwandeln und ihre Sippung abzuhalten. Geführt wird die mehrstündige Persiflage auf alltägliche Wichtigkeiten vom Podest der drei Oberschlaraffen aus. Wenn Ritter Marschall klanvoll das Tam-Tam rühret, sind die Spiele eröffnet. Dann darf gesungen, gereimt und getrunken werden. „Das gehört dazu“, sagt Gero Jänicke und Stillvergnügt verrät, dass ein Gefangener sich schon mal durch eine Lokalrunde aus dem Kerker befreien kann.
Sprache als Degen
Ebenso wohlwollend aufgenommen werden launige Vierzeiler. Gereimte Verse werden auch bei Duellen gezückt. „Wir benutzen die Sprache wie einen Degen“, sagt Gero Jänicke. Des Deutschen mächtig muss ein Ritter schon sein, um das Schlaraffen-Latein zu verstehen. Worte fehlen selten. „Unser Merkwürden fällt immer was ein“, sagt Stillvergnügt, der nach einer Sippung ohne Probleme wieder in die erste Person wechselt. Seine Burgfrau zuhause würde ihren Schlaraffen vermutlich auch im Pluralis Majestatis erhören. „Die kennt das, wir sind seit 50 Jahren verheiratet“, sagt Gero Jänicke. Wenn ihr Gatte im Spanien-Urlaub den Tischnachbarn im Hotelrestaurant mit „Lulu, lieber Freund“begrüßt, trügt keine Schamesröte den sonnengebräunten Teint. „Man erkennt sich an der Rolandnadel“,
Pilger sind eingeladen
P@ Mehr: www.schlaraffia.org
Kulturförderung
P@ Programm unter www.schlaraffia-oldenburgia.de
sagt Gero Jänicke und zuppelt das Revers seines Jacketts unter der Ritterkluft hervor. Das dezente PerlmuttKöpfchen zeichnet weit über 10 000 Schlaraffen in der ganzen Welt aus. „Reyche gibt es auch in Österreich, der Schweiz und überall dort, wo es deutsche Kolonien oder Auswanderer gibt“, sagt der 69-Jährige. Rund 150 Burgen sind quer über die Bundesrepublik verteilt. „Zum Ende der Kaiserzeit waren es mehr – und während des Dritten Reiches gab es gar keine“, sagt Gero Jänicke. Auch unter dem DDR-Regime waren schlaraffische Treffen untersagt.
Ritterliche 125 Jahre
Die Vereinigung der Oldenburgia feiert an diesem Samstag ihr 125-jähriges Bestehen. Eingeladen sind Eherengäste, der Oberbürgermeister, der Präsident der Oldenburgischen Landschaft, Leute von der Presse. Die ritterlichen Gattinen dürfen das Feuer in der eigenheimischen Burg bewachen. Rhetorisch würden Damen durchaus mit scharfer Klinge schlagen. „Aber die Atmosphäre wäre mit Frauen anders“, sagt Stillvergnügt eisern. Weibliche Anwesenheit dulden die Sassen während Sippungen allerdings Frikadellen und Bockwürstchen zuliebe, die ihnen eine Küchenfee in den Pausen serviert. Kulinarische Streifzüge gehören nicht zu den ritterlichen Tugenden.
„Wir sind ein Schlaraffenland des Geistes“, sagt der stattliche Herr in der bodenlangen Robe, legt Zepter und Orden ab, rückt die Brille zurecht, schiebt die perlmuttfarbene Nadel am Revers hoch und schreitet andächtig zum Ausgang. An der Türschwelle dreht sich Gero Jänicke um, winkt Stillvergnügt und sagt: „Ich fühl’ mich ganz wohl mit der Person, die ich bin.“