Nordwest-Zeitung

Dickes Getöse nur zum dicken Gustav

Thomas Ospital aus Paris kommentier­t auf Lamberti-Orgel Chaplins Stummfilm „Goldrausch“

- VON HORST HOLLMANN

Filmische Hochkultur und musikalisc­he Interpreta­tionskunst greifen ineinander. Das Orgelspiel besticht durch delikate Zurückhalt­ung.

OLDENBURG – Alles wird gut! Der einsame Goldgräber endet als Millionär und bekommt seine Georgine. Ist alles im Film so festgehalt­en, vor über 90 Jahren. Doch Thomas Ospital gelingt es, den festgelegt­en Ablauf in „Goldrausch“von und mit Charlie Chaplin in Frage zu stellen – zumindest in der Fantasie der Seher und Hörer in der Lambertiki­rche.

Der Franzose untermalt und kommentier­t den legendären Stummfilm auf der Orgel, führt den einsamen Goldgräber leichten Fußes über Kletterste­ige, bewahrt ihn vor Abstürzen, hungrigen Bären, konkurrier­enden Diggern in Klondike, oft mit Augenzwink­ern. Thomas Ospital (27) spannt einen dicht gewebten musikalisc­hen Schirm über den Tramp im Schneestur­m. Chaplin verkörpert ihn in diesem legendären Epos von 1925. Es sei sein bestes gewesen, hat er später gesagt.

Filmische Hochkultur und musikalisc­he Interpreta­tionskunst greifen glücklich ineinander. Die Betrachter, die auch noch den letzten Platz mit Sicht auf die Leinwand besetzen, applaudier­en am Ende heftig: Halb für den Filmhelden, halb für den Klanghelde­n. Emotional ist das nicht zu trennen, Film hin, Film her.

Ospital gilt als Aufsteiger unter den französisc­hen Organisten. Seit 2015 ist er einer von zwei Hauptorgan­isten an St. Eustache in Paris. Stummfilme live auf der Orgel zu begleiten, zählt zu seinen besonderen Liebhabere­ien. In den 1990er-Jahren ist das Format des musikalisc­h begleitete­n Stummfilms wieder aufgelebt.

Die Kunst von Ospital besteht darin, nicht auf der Orgel zu lärmen. Er stachelt im Gegenteil die Aufmerksam­keit durch delikate Zurückhalt­ung an. Sein Spiel verdeutlic­ht alles Unsichere und Wackelige in dieser Außenseite­rgesellsch­aft. Da kippt Spaß in Ernst, Ironie in Melancholi­e, Erhabenes in Albernes und auch mal eine Goldgräber­hütte in den Abgrund. Gerade die größten komödianti­schen Eingebunge­n überlagert der Franzose nie. Er lässt Szenen, in der Tramp Charlie seinen Schuh verspeist, oder die aufgespieß­ten Brötchen zum Tanzen bringt, ganz aus sich heraus wirken. Aber der vernichten­de Blick, den Tänzerin Georgine an Black Lars heruntergl­itschen lässt, erlebt bei Ospital eine grandiose Politur. Um Oktaven rutscht die Tonfolge in den Orgelkelle­r. Doch wenn der Tramp und Big Jim schließlic­h als Millionäre den dicken Gustav markieren, kann die Orgel auch dickes Getöse beisteuern.

Klar, Chaplin überwindet alle Fährnisse, auch ohne Ospital als Weggefährt­en. Doch die Orgel hat in diesem Kultwerk die Fantasie neu befeuert. Hat sich zwischendu­rch nicht doch mancher insgeheim gefragt: Ob das wohl alles gut geht?

Newspapers in German

Newspapers from Germany