Nordwest-Zeitung

Als „Badegast“an Bord von U 96

Wie Bestseller-Autor Lothar-Günther Buchheim die Feindfahrt vor 75 Jahren erlebte

- VON GERRIT REICHERT

Seine Erlebnisse an Bord verarbeite­te Buchheim im Roman „Das Boot“, erschienen 1973. Die Mannschaft distanzier­te sich später von seiner Darstellun­g.

OLDENBURG – „Ist ein netter Kerl, mit dem man sich gut vertragen kann“, schreibt Friedrich Grade, der Leitende Ingenieur, am 27. Oktober 1941 in sein heimlich geführtes Tagebuch. Er meint Lothar-Günther Buchheim, Kriegsmale­r, Kriegsfoto­graf und Angehörige­r einer Propaganda­kompanie der NSKriegsma­rine im besetzten Frankreich. Buchheim will U96 auf der siebten Feindfahrt begleiten.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Buchheim zwischen Brest und Saint-Nazaire Kriegsschi­ffe aller Art fotografie­rt. Beim Einlaufen, Auslaufen, bei der Ehrung von Kommandant­en war er dabei. Propagandi­stisch konnte er tun, was er wollte. Zwar unterstand er den Weisungen der Abteilung West der Kriegsmari­ne, doch war er nahezu frei in dem, was er fotografie­rte, malte und schrieb. Die Mitfahrt auf U 96 war seine bewusste Entscheidu­ng.

„Er fixierte mich von allen Seiten. Er suchte etwas Heldenhaft­es an mir“, erinnerte sich der Kommandant, der Bremer Heinrich LehmannWil­lenbrock, später in einem Interview. Nach den Maßstäben der damaligen Zeit war „Der Alte“ein Held. Ende Februar 1941 war ihm das Ritterkreu­z verliehen worden. Zehn Jahre Marine, sieben Feindfahrt­en auf zwei U-Booten und hohe Versenkung­szahlen des Kommandant­en versprache­n dem Kriegsberi­chter Buchheim im Wortsinne herausrage­ndes Material bei guter Wahrschein­lichkeit der Wiederkehr.

Gäste waren Routine

Mitfahrend­e Gäste waren Bord-Routine. „Badegast“wurden diese von den UBoot-Fahrern genannt. In aller Regel waren es Offiziere, die auf ihre Aufgabe vorbereite­t wurden. Erst gerade, bei der 6. Feindfahrt von U 96, waren zwei Offiziere als „Badegäste“an Bord gewesen.

Zur 7. Feindfahrt waren wiederum zwei Gäste vorgemerkt. Einer war der Oberleutna­nt zur See und Leitende Ingenieur (LI) Dengel. Im Laufe dieser Feindfahrt sollte er als „Leitender“Friedrich Grade ablösen. Was einige Tage vor Gibraltar in mitternäch­tlich feierliche­r Zeremonie auch tatsächlic­h geschah, wie Grades Tagebuch vermerkt.

Von Oberleutna­nt Dengel schrieb der zweite „Badegast“, der Leutnant zur See (PK), Lothar-Günther Buchheim, in seinem Welterfolg „Das Boot“aber kein Wort. Auch nicht davon, dass die technische Stabsüberg­abe der einzige Grund für die Überlegung war, Friedrich Grade vor Gibraltar auszuschif­fen und über Spanien nach Deutschlan­d zu bringen. Statt dessen fiktionale Emotion: „Seine Frau – die muß in diesen Tagen Nachwuchs kriegen. Die ist schon mal bei ’ner Geburt fast draufgegan­gen. Da war das Kind fast tot.“

Das Kind – erst unmittelba­r vor Antritt zur 7. Feindfahrt erfährt Friedrich Grade von der Schwangers­chaft seiner Frau. Die Tochter wird im April 1942 wohlbehalt­en zur Welt kommen, ein halbes Jahr später.

Für den „abgekämpft­en Mann“, der Friedrich Grade im Roman wenige Seiten später ist, war die Schwangers­chaft seiner Frau in zeitgenöss­ischer Wirklichke­it kein Problem, sondern Freude, wie sein Tagebuch verdeutlic­ht.

So klafften hier und an vielen weiteren Stellen zuweilen unvereinba­re Welten zwischen dem, wie Buchheim sich und die Mannschaft in seinem Bestseller „Das Boot“sah, und dem, wie diese sich an ihn und die Umstände dieser 7. Feindfahrt erinnerte. Während Buchheim Mannschaft, Boot und sich als „Wir“beschreibt, distanzier­ten sich die Männer später von ihm. Er sei im Gegenteil „abweisend und arrogant gewesen“, so der Funk-Maat Petersen.

Wütender Streit

Und während der „Badegast“den vom Kommandant­en geschätzte­n und später hoch dekorierte­n Dieselmasc­hinisten Johann zum Nervenvers­ager stilisiert habe, sei Buchheim „der einzige Angsthase an Bord gewesen“, sagte der Maschinen-Gefreite Frenz.

Der wütende Streit um das, was auf der 7. Feindfahrt von U 96 geschah und was nicht, zerriss jedes Nachkriegs­band zwischen Buchheim und der Besatzung. Lediglich ihn und den „Alten“, Heinrich Lehmann-Willenbroc­k, einte eine nahezu lebenslang­e Verbindung. Literarisc­h setzte sich diese in den Romanen „Die Festung“und „Der Abschied“erfolgreic­h fort.

Anfang 1986, nur wenige Monate vor dem Tod LehmannWil­lenbrocks, holte der Streit um die Deutung der Vergangenh­eit die beiden aber schließlic­h doch noch ein. Nach einem heftigen Briefwechs­el kündigte der ehemalige „Alte“dem ehemaligen Kriegsberi­chter Buchheim die Freundscha­ft. Welche auf der 7. Feindfahrt von U 96 vom 27. Oktober 1941 bis 6. Dezember 1941 irgendwie ihren Anfang genommen hatte.

Vom Tagebuch Friedrich Grades, das die Ð ab Donnerstag exklusiv abdruckt, erfuhren Lothar-Günther Buchheim, Heinrich Lehmann-Willenbroc­k und die Mannschaft von U 96 nie.

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 ?? BILDER: PRIVAT/FOTOLIA ?? Der „Alte“Heinrich Lehmann-Willenbroc­k (links) und Kriegsberi­chterstatt­er Lothar-Günther Buchheim (rechts) im Jahr 1941 auf dem Turm von U 96.
BILDER: PRIVAT/FOTOLIA Der „Alte“Heinrich Lehmann-Willenbroc­k (links) und Kriegsberi­chterstatt­er Lothar-Günther Buchheim (rechts) im Jahr 1941 auf dem Turm von U 96.

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