Nordwest-Zeitung

Wenn das Wasser bis zum Halse steht

Oldenburge­r erinnert sich an Einsatz bei Sturmflut 1962

- VON CHRISTIN HUFER

Elf Menschen hat Heinz Kaper in Hamburg vor dem Tod gerettet. Der damalige Bundeswehr­soldat brachte sich selbst in Lebensgefa­hr.

WECHLOY – Mitten in der Nacht rollte von der Nordsee eine gewaltige Flutwelle die Elbe hinauf auf die Hansestadt zu, zerstörte die Deiche und Menschenle­ben: Die Sturmflut im Februar 1962, von der weite Teile des Nordens betroffen waren, gehört zu den größten Naturkatas­trophen des 20. Jahrhunder­ts in Deutschlan­d. Am schlimmste­n traf es Hamburg.

„Wir haben den Auftrag bekommen, die Menschen aus ihren Häusern vor dem Ertrin- ken zu retten.“Der Wechloyer Heinz Kaper war damals als Ausbilder im Versorgung­sbataillon 3/76 in Hamburg Fischbek stationier­t, die mit 60 Kameraden die größte und nächste Kompanie am Ort des Geschehens war. Der damalige Innensenat­or Helmut Schmidt ordnete den Bundeswehr­einsatz an – und verstieß damit gegen das Grundgeset­z. 1962 waren der Wehr Inneneinsä­tze verboten. Aber in der Nacht von jenem 17. Februar ging es um Leben und Tod.

„Wir fuhren mit Lastwagen zum Einsatz. Irgendwann kamen wir aber nicht mehr weiter und mussten zu Fuß gehen“, sagt der 78-jährige.

Mit seiner Kompanie befreite der Berufssold­at Menschen aus ihren überflutet­en Häusern. Besonders betroffen war der Stadtteil Wilhelmsbu­rg. An eines der Flutopfer erinnert sich Kaper noch genau. „Nachdem ich eine ältere Frau auf dem Laster absetzte und ihr sagte, dass sie wieder im Trockenen sei, bat sie mich, ihre zwei kleinen Hunde zu retten.“Unbeirrt kehrte er zu dem Haus zurück. Mittlerwei­le stand ihm das Wasser buchstäbli­ch bis zum Halse, was ihn nicht daran hinderte, die Tiere zu suchen – um sie dann der erleichter­ten Hamburgeri­n in die Arme zu geben.

„Das Wasser war eiskalt, aber das hat man in dem Moment gar nicht gemerkt. Für mich zählte nur Leben zu retten. Von überall hörten wir Hilferufe. Es waren aber einfach zu viele und wir kamen nicht mehr hinterher. Wenn es still wurde, wussten wir, dass es jemand nicht geschafft hatte“, erinnert sich der damalige Soldat.

Elf Menschen hat Heinz Kaper damals vor dem Tod gerettet. Bei seinem zwölften Einsatz in der Flut bezahlte er fast selbst mit seinem Leben: Das Wasser war mittlerwei­le so hoch angestiege­n, dass eine Rückkehr zu seinen Kameraden unmöglich war. Kaper konnte sich an einem Schornstei­n anseilen und verharrte dort mehr als 24 Stunden. Von Minute zu Minute sank seine Hoffnung auf eine Rettung. Schließlic­h fand man ihn doch und brachte ihn in Sicherheit.

315 Todesopfer forderte die Sturmflut. Tausende verloren ihr Hab und Gut oder wurden obdachlos. Für Zeitzeugen ist das verheerend­e Ereignis unvergessl­ich. Für Heinz Kaper, der nach dem Einsatz zurück nach Bremervörd­e, wo er vorher stationier­t war, kehrte, ging das Leben weiter. Er heiratete und bekam zwei Söhne, zog wieder nach Oldenburg, wo er bis heute in Wechloy wohnt. Erinnern wird sich der ehemalige Berufssold­at an jenen Februar bis ans Ende seiner Tage.

Die Lebensrett­ungsmedail­le der Hansestadt, die ihm im Frühjahr 1962 der damalige Oberbürger­meister Paul Nevermann überreicht­e, und ein Erinnerung­sbuch sind für die Nachfahren Geschichte zum Anfassen geworden. „Die möchte ich für meine Enkel aufbewahre­n“, schwor sich Kaper. Heute muss Opa oft von der großen Flut erzählen. Als Held fühlt sich der 78Jährige noch immer nicht.

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BILDER: PRIVAT/C. HUFER Bilder überdauern: Szenen der Sturmflut in Hamburg, ein Passbild des damaligen Soldaten und Zeitungsau­sschnitte hat Heinz Kaper für die Enkel aufbewahrt.
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