Angst vor dem Verlust der Mehrheit
Seehofers Drahtseilakt bei Parteitag – Kanzlerin Merkel fehlt
MÜNCHEN – Keine Rede, kein Grußwort der CDU-Vorsitzenden: Angela Merkel steht am Freitag beim CSU-Parteitag nicht auf der Bühne. Es sei eine einvernehmliche Entscheidung von CSU-Chef Horst Seehofer und Merkel, wie es aus Berlin und München heißt.
Das Fernbleiben der CDUVorsitzenden ist die Folge einer Entwicklung zwischen CDU und CSU, die vor einem Jahr an gleicher Stelle auf der Münchener Messe ihren Anfang genommen hatte. Minutenlang stand Merkel da wie ein Schulmädchen auf der Parteitagsbühne, während Seehofer ihr die Leviten gelesen und ihre Flüchtlingspolitik in Bausch und Bogen verdammt hatte. Seitdem ist zwischen den Unionsparteien nichts mehr normal.
Inzwischen aber hat man sich wieder angenähert, auch wenn längst nicht alle Differenzen geklärt sind. Buhrufe und Pfiffe der immer noch unzufriedenen CSU-Basis sollen der Kanzlerin erspart bleiben, so das Kalkül hinter der Entscheidung, diesmal auf den Auftritt zu verzichten.
An Merkels Stelle wird einer ihrer Vertrauten nach München reisen: Unionsfraktionschef Volker Kauder. Der CDU-Politiker soll gute Miene zum bösen Spiel machen und die Wogen glätten. CSU-Chef Seehofer zeigt sich im Vorfeld des Parteitags bemüht, zur Geschlossenheit in der Union zurückzukehren – auch wenn der Konflikt mit der Schwesterpartei über eine Obergrenze nicht beigelegt ist. Eine neue Meinungsumfrage zeigt, dass die CSU, wäre jetzt Wahl in Bayern, ihre absolute Mehrheit verlieren würde. Sie käme nur noch auf 44 Prozent. Vor gut drei Jahren, bei der letzten Landtagswahl, waren es noch 47,7 Prozent der Stimmen gewesen. Wieder auf einen Koalitionspartner im Freistaat angewiesen zu sein, wäre für die Christsozialen im Augenblick der Super-GAU.
Für Spannung in München ist reichlich gesorgt: Die Zukunft des CSU-Vorsitzenden, der einen vorzeitigen Verzicht auf den Parteivorsitz angedeutet hatte, aber bis 2018 Regierungschef in Bayern bleiben will, und die Ambitionen seines Widersachers Markus Söder dürften bei den Delegierten am Rande der Halle das Hauptthema sein. Söder hat sich vor dem Parteitag Zurückhaltung verordnet: Ungewöhnlich für den Franken, der sonst an keinem Mikrofon vorbeigeht. Bloß keine Fehler machen!
Einmal mehr wird der Parteitag voll auf Seehofer zugeschnitten sein. Innerhalb von nur rund 24 Stunden will er gleich drei große Reden halten und damit die Richtung vorgeben. Klare Kante gegen die „Linksfront“von Rot/Rot/ Grün, dazu ein Konzept für den Kampf gegen den politischen Islam – mit der Entscheidung über zwei Leitanträge des Vorstands sollen die rund 900 Delegierten Position beziehen: Es geht auf dem Parteitag um die Wurst.