Das Rätsel um den Lehrer „Liebmann“
Reihe im „Cine K“– Themen reichen vom Coming-out bis zu Regenbogenfamilien
Jules Herrmann präsentiert ihr Langfilmdebüt „Liebmann“. Die Regisseurin wünscht sich mehr Filme, in denen Homosexualität als normal dargestellt wird.
OLDENBURG – Kaum ist das große Filmfest Oldenburg vorbei, folgt das kleine: Bis zum 8. November laden die Gruppe Rollenwechsel des Lesben- und Schwulenvereins „Na Und“sowie das „Cine K“in die Kulturetage zum „7. QueerfilmFestival“ein.
Einer von rund zehn Festival-Filmen ist „Liebmann“. In Jules Herrmanns Langfilmdebüt geht es nicht vordergründig ums Schwul- oder Lesbischsein. Es geht um den Lehrer Antek (Godehard Giese, Im Sommer wohnt er unten), der nach einem traumatischen
Abaddon drehte sich wortlos zu ihr um, grinste sie glücklich an und wandte sich wieder der Straße zu. Theresa warf sich auf den Sitz hinter der Fahrerkabine, als die Endhaltestelle heranraste, schloss die Augen und wartete auf den Knall. Er kam nicht. Es gab nur ein kurzes Stoßen und Holpern, und dann veränderte sich plötzlich das typisch schleifende Fahrgeräusch einer Straßenbahn zu einem hohen, metallischen Singen, das sie noch nie zuvor gehört hatte. Als sie vorsichtig die Augen öffnete, bog Abaddons persönliche Straßenbahn eben auf die Autobahn in Richtung Bayreuth ein, und eine sanfte Automatenstimme verkündete über Lautsprecher: „Nächste Haltestelle: Prag. Ende der Kurzstrecke.“
V Solvet saeclum in favilla
Hamburg 1 Helena stand in einem engen Kreis inmitten einer Erlebnis nach Südfrankreich reist. Was genau passiert ist, lässt Regisseurin Jules Herrmann lange offen. Es ist ein Rätsel. Können seine neuen, fürsorglichen Nachbarn Antek helfen? Oder sein neuer, lebensfroher Freund Sébastien? In eindrucksvollen Bildern erzählt Herrmann von Anteks Leben in der kleinen Künstlerresidenz.
Ein Pfau-Gefieder als Eröffnungsszene, erzählerische Exkursionen, ein roter Filter über dem Bild des leidenden Liebmann – so besonders die Filmsprache, so besonders war auch die Entstehung des Films. Die Idee entstand innerhalb eines Monats, der Dreh in Südfrankreich dauerte drei Wochen. Ein Drehbuch im klassischen Sinne gab es nicht. „Wir haben morgens gesund und lecker gefrühstückt und sind dabei den Plan für den Tag durchgegangen“, erzählt Herrmann. Die Details habe sie mit Hauptdarsteller
schier endlosen Menge, die vor ihr kniete. Sie hatte nicht gewusst, wie sich das anfühlen konnte. Sie hatte nicht den Schimmer einer Ahnung gehabt, was Uriel von ihr gewollt hatte. Die Welt retten! Das hatte sich so unwirklich angehört. Etwas, das in Filmen geschah. Ein altbekanntes Muster, über das man lächelte, weil man einfach immer wusste, wie es ablief. Mit der kleinen Abweichung von der Norm, dass sie kein Durchschnittsmann des eher ängstlichen Typs mit unterdurchschnittlichem Erfolg bei Frauen war, sondern ein fünfzehnjähriges Mädchen. Und dass sie ein echtes Mädchen war und kein Filmheld. Und dass sie im Himmel stand und nicht nur Zehntausende vor ihr auf die Knie gefallen waren, sondern auch die Erzengel. Sie hatte wirklich nicht gewusst, wie es sich anfühlte, wenn so eine Menge vor einem kniete. Es nahm ihr den Atem. Es war so berauschend überwältigend, dass sie für einen Augenblick schwankte.
Lobet die Herrin; die Mächtige steht über allen! Godehard Giese festgelegt. Die Dialoge wurden mit allen Schauspielern zusammen vor der Kamera entwickelt. „Es war eine Mischung aus Auswendiglernen und Improvisieren“, sagt Herrmann – eine große Herausforderung.
Beim queeren MIX-Festival in Mailand belegte Jules Herrmann mit „Liebmann“den dritten Platz. Auch für den
Meine geliebete Seele, das ist ihr Gefallen!
Kommet zuhauf! und Harfe wacht auf!
Lasset den Lobgesang hören!
Voll und kräftig klang der Lobgesang aus der Mitte der Anbetenden. Es war Martin Luther, der aufgestanden war und ihn angestimmt hatte, inbrünstig und voller Hingabe. Engel erhoben sich und fielen ein. Auch die Seelen standen auf und fielen ein; in türkischen und arabischen, jüdischen und indischen Melodielinien, die sich auf wunderbare Weise zu einem allumfassenden, harmonischen Chor vereinigten, der Helenas Lob sang.
Dolby Surround in Potenz, dachte sie in einem hilflos ironischen Versuch, unpathetisch und ungerührt zu bleiben. Es funktionierte nicht gut. Ihr war manchmal schon Psalter Teddy Award, den queeren Filmpreis der Berlinale, war der Film nominiert. „Ich finde es schade, dass in vielen Mainstream-Filmen Homosexualität noch immer nicht als selbstverständlich dargestellt wird“, sagt Herrmann. Der Schwule sei meistens der lustige Sidekick oder der beste Freund. Das entspricht nicht der Realität. „Im richtigen Leben gibt es mehr homosexuelle Menschen als in Filmen“, sagt Herrmann. Oft würde der Umgang mit Homosexualität immer noch problematisiert. Auch das sei heute nicht mehr die Realität.
„Wir sollten keine zu große Differenz aufmachen zwischen einem Nischenfilm und einem Film für alle.“So könne man auch die erreichen, die sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen möchten peinlich gewesen, wenn die Familie ihr an den Geburtstagen ein Ständchen gebracht hatte. Das hier dagegen war wie . . . es war wie im Meer stehen und die Gewalt von fünfzehn Meter hohen Wellen spüren, die einen umbrandeten. Aber man fiel nicht. Man stand stark und fest und erzitterte vielleicht nur leise, weil man so . . . ja. Weil man so mächtig war. Weil sie die . . . nein. Es hörte sich gotteslästerlich an. Sie hatte früher nie geglaubt. Jetzt war kein Raum mehr für Zweifel an Gott. Der Himmel und die Engel und Gott – das war keine Sache des Glaubens mehr. Jetzt wusste sie, dass es Gott gab.
Und sie stand im Begriff, Seinen himmlischen Thron einzunehmen. O Gott! Aber Er war ja auch nicht da. Vielleicht – womöglich war Er doch tot. oder es gar ablehnen. „Es ist wichtig, dass man ihnen in Filmen eine Gesellschaft zeigt, in der Homosexualität normal ist“, sagt Herrmann. Braucht man denn dann überhaupt noch ein Festival für queere Filme? Einen extra Preis? „Ja“, meint Herrmann. „Denn queere Filme werden noch zu wenig wahrgenommen.“
Gezeigt wird „Liebmann“am Montag, 7. November, ab 20 Uhr im Muwi des Cine K. Die Regisseurin kommt zum Publikumsgespräch.
Beim Queerfilm-Festival in Oldenburg sind rund zehn Filme zu den unterschiedlichsten Themen zu sehen – Coming-out, Transsexualität, Regenbogenfamilien. Zusätzlich zu den langen Spielfilmen stehen am Samstag, 5. November, um 20 und 22 Uhr, Kurzfilme auf dem Programm. P@ Mehr Infos unter https://queerfilmfestival.wordpress.com/category/7-queer-film-festival-oldenburg-2016/
Sie wandte sich an Uriel, die sich nach Luther als Erste wieder erhoben hatte. „Bin ich jetzt Gott?“Uriel hob in einer winzigen Bewegung die Schultern, antwortete aber dann wieder so gelassen, als ob nichts weiter passiert wäre.
„Du bist Helena, die Menschentochter. Gott hat dich zu Seinem Ebenbild erschaffen.“
In Helena stieg Wut hoch. Sie fühlte sich anders als jemals zuvor.
„Was soll ich damit anfangen?“, rief sie zornig. „Was? Was sagt mir das? Was heißt das? Was bedeutet das? Ich wollte, du würdest mir ein einziges Mal eine richtige Antwort geben!“
Alle erschraken. Alle erstarrten. Helenas Stimme hallte klingend durch den gesamten Himmel nach. Es gab keinen, der sie nicht gehört hätte. Sie selbst war so überrascht davon, dass die Wut augenblicklich verflogen war. Sie sah Uriel an. Die hatte sich nicht gerührt. Helena flog angesichts der unangreifbaren Schönheit dieses Engels eine Ahnung an, wieso die Engel damals gegen Gott hatten aufstehen können. Eine Ahnung davon, welche Macht und welches Selbstverständnis ein Wesen haben musste, das den Allmächtigen herausfordern konnte.
„Ich bin Uriel“, antwortete sie nun mit einer Stimme, in der man wie aus der Ferne das Brausen eines ungeheuren Orkans hören konnte, obwohl sie sie nicht erhob, „ich bin das Licht Gottes, und meine Rede kann nichts anderes als Wahrheit sein.“
„Ja“, sagte Helena nach einer langen Pause, in der sie sich ansahen und keine der beiden die Augen senkte, „das mag sein. Aber du würdest mir nicht sagen, wenn ein Erzengel auf einmal auch lügen könnte.“
„Nein“, antwortete vieldeutig wie immer.
Michael hatte zwischen den beiden hin- und hergesehen wie bei einem Tischtennisspiel und räusperte sich jetzt verlegen.
„Was . . . äh . . . was genau sollen wir jetzt eigentlich tun?“ Uriel