Nordwest-Zeitung

Wenn die Opfer untertauch­en müssen

Für einige Frauen sind Flucht und Neustart an einem geheimen Ort der einzige Ausweg

- VON CHRISTINA STICHT

Mehr als 100 000 Frauen erleiden bundesweit jedes Jahr Gewalt in Partnersch­aften. Das Modell Operati4er Opferschut­z gibt es seit 2012 auch in Niedersach­sen.

HANNOVER – Sie haben sich nach Auffassung ihrer Familie den falschen Partner ausgesucht oder werden von ihren Ex-Männern terrorisie­rt. Mehr als 100 Gewaltopfe­r in Deutschlan­d fürchteten im vergangene­n Jahr so sehr um ihr Leben, dass sie sich in enger Zusammenar­beit mit der Polizei zu einem radikalen Schritt entscheide­n. Sie werden in das Programm Operativer Opferschut­z aufgenomme­n. Das bedeutet, dass die Betroffene­n – oft gemeinsam mit kleinen Kindern oder dem von der Familie unerwünsch­ten Partner – ihr altes Leben hinter sich lassen. Sie kappen die Verbindung zu Familie und Freunden, beginnen komplett von vorn – an einem neuen Wohnort, oft mit neuer Identität.

Der Operative Opferschut­z nutzt annähernd die gleichen Instrument­e wie Zeugenschu­tzprogramm­e. „Es geht um Gefahrenab­wehr“, betont der Dezernatsl­eiter der zuständige­n Abteilung im Landeskrim­inalamt (LKA) Niedersach­sen. Der 53-Jährige und seine 47 Jahre alte Kollegin möchten ihre Namen nicht in den Medien erwähnt wissen, denn ihre Arbeit kann nur auf Ein Startknopf für eine Website der Landesregi­erung dem Grundsatz der Verschwieg­enheit funktionie­ren.

Das Modell Operativer Opferschut­z wurde 2005 in Hamburg eingeführt, Niedersach­sen stieg 2012 ein. Mittlerwei­le wird das aufwendige Programm in vielen Bundesländ­ern praktizier­t. Polizeilic­he Ermittlung­en sowie Frauenhäus­er oder Beratungss­tellen machen die Beamten auf Opfer aufmerksam, die für das freiwillig­e Programm infrage kommen. Seit 2016 gibt es eine bundesweit­e Statistik.

Demnach sind zwei Drittel der Teilnehmer weiblich, zwei Drittel kommen aus Zuwanderer­familien. Häufig geht es um Zwangsheir­at oder gar angedrohte Morde, die vermeintli­ch im Namen der Familieneh­re geschehen sollen.

Die beiden Experten im LKA in Hannover schildern den Fall einer Frau mittleren Alters aus Osteuropa, die zunächst in ein Frauenhaus floh. Gegen ihren Mann – einen Landsmann – wurde unter anderem wegen versuchter Tötung ermittelt, die Kinder waren traumatisi­ert. Am Anfang stand ein langes Gespräch mit den Beamten über die Konsequenz­en des Untertauch­ens. „Man bricht mit allen alten Strukturen komplett ab. Die ganze Kommunikat­ion wird nur über uns geregelt“, erklärt die Polizistin. Eine Namensände­rung war nicht möglich, sie kann nur bei deutschen Staatsbürg­ern erfolgen.

Bei der Risikoanal­yse bezieht die Polizei oft wissenscha­ftliche Gutachten etwa zum Thema Blutrache ein. Monatelang suchten die niedersäch­sischen Beamten einen geeigneten neuen Wohnort für die Frau und ihre Kinder. Dies hängt immer auch davon ab, ob es in dem jeweiligen Bundesland im Operativen Opferschut­z ausgebilde­te Polizisten gibt, die Kapazität haben, den Fall zu übernehmen.

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DPA-BILD: HOLLEMANN

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