Wenn die Opfer untertauchen müssen
Für einige Frauen sind Flucht und Neustart an einem geheimen Ort der einzige Ausweg
Mehr als 100 000 Frauen erleiden bundesweit jedes Jahr Gewalt in Partnerschaften. Das Modell Operati4er Opferschutz gibt es seit 2012 auch in Niedersachsen.
HANNOVER – Sie haben sich nach Auffassung ihrer Familie den falschen Partner ausgesucht oder werden von ihren Ex-Männern terrorisiert. Mehr als 100 Gewaltopfer in Deutschland fürchteten im vergangenen Jahr so sehr um ihr Leben, dass sie sich in enger Zusammenarbeit mit der Polizei zu einem radikalen Schritt entscheiden. Sie werden in das Programm Operativer Opferschutz aufgenommen. Das bedeutet, dass die Betroffenen – oft gemeinsam mit kleinen Kindern oder dem von der Familie unerwünschten Partner – ihr altes Leben hinter sich lassen. Sie kappen die Verbindung zu Familie und Freunden, beginnen komplett von vorn – an einem neuen Wohnort, oft mit neuer Identität.
Der Operative Opferschutz nutzt annähernd die gleichen Instrumente wie Zeugenschutzprogramme. „Es geht um Gefahrenabwehr“, betont der Dezernatsleiter der zuständigen Abteilung im Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen. Der 53-Jährige und seine 47 Jahre alte Kollegin möchten ihre Namen nicht in den Medien erwähnt wissen, denn ihre Arbeit kann nur auf Ein Startknopf für eine Website der Landesregierung dem Grundsatz der Verschwiegenheit funktionieren.
Das Modell Operativer Opferschutz wurde 2005 in Hamburg eingeführt, Niedersachsen stieg 2012 ein. Mittlerweile wird das aufwendige Programm in vielen Bundesländern praktiziert. Polizeiliche Ermittlungen sowie Frauenhäuser oder Beratungsstellen machen die Beamten auf Opfer aufmerksam, die für das freiwillige Programm infrage kommen. Seit 2016 gibt es eine bundesweite Statistik.
Demnach sind zwei Drittel der Teilnehmer weiblich, zwei Drittel kommen aus Zuwandererfamilien. Häufig geht es um Zwangsheirat oder gar angedrohte Morde, die vermeintlich im Namen der Familienehre geschehen sollen.
Die beiden Experten im LKA in Hannover schildern den Fall einer Frau mittleren Alters aus Osteuropa, die zunächst in ein Frauenhaus floh. Gegen ihren Mann – einen Landsmann – wurde unter anderem wegen versuchter Tötung ermittelt, die Kinder waren traumatisiert. Am Anfang stand ein langes Gespräch mit den Beamten über die Konsequenzen des Untertauchens. „Man bricht mit allen alten Strukturen komplett ab. Die ganze Kommunikation wird nur über uns geregelt“, erklärt die Polizistin. Eine Namensänderung war nicht möglich, sie kann nur bei deutschen Staatsbürgern erfolgen.
Bei der Risikoanalyse bezieht die Polizei oft wissenschaftliche Gutachten etwa zum Thema Blutrache ein. Monatelang suchten die niedersächsischen Beamten einen geeigneten neuen Wohnort für die Frau und ihre Kinder. Dies hängt immer auch davon ab, ob es in dem jeweiligen Bundesland im Operativen Opferschutz ausgebildete Polizisten gibt, die Kapazität haben, den Fall zu übernehmen.