Nordwest-Zeitung

Schwere Stunden für Senkrechst­arter

Wirtschaft­sminister Olaf Lies (50) kämpft ums politische Überleben – SPD-Mann aus Friesland unter Druck

- VON MAR2O AENG

Die Opposition hat einen Untersuchu­ngsausschu­ss beantragt, die Staatsanwa­ltschaft ermittelt. Worum geht es, was steckt dahinter?

HANNOVER/OLDENBURG – Kiete LeGchichte­n über Olaf Lies beginnen mit Eseln. Oder Katzen. Oder Kaninchen. Weil der SPD-Mann zu Hause im friesländi­schen Sande einen kleine Zoo hat.

Man könnte auch mit seiner Begeisteru­ng für Motorräder beginnen. Oder für Trecker. Oder für Bullis.

Doch dafür ist jetzt nicht die richtige Zeit. Olaf Lies, der Minister aus dem Nordwesten, kämpft ums politische Überleben.

Es geht um fragwürdig­e Auftragsve­rgaben im Wirtschaft­sministeri­um. Lies hat seine Staatssekr­etärin entlassen, den Pressespre­cher versetzt. Die Opposition macht Druck. Im Landtag soll ein Untersuchu­ngsausschu­ss eingericht­et werden. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt.

Noch hat niemand den Rücktritt des Ministers geforderte, doch die nächste Enthüllung könnte die letzte sein. Was steht morgen in der Zeitung? „Es ist eine komische Situation“, sagt Lies. Acht Monate vor der Landtagswa­hl.

 DIE LANDTAGSSI­TZUNG

Anfang Mai war die Welt von Olaf Lies wahrschein­lich noch in Ordnung. „Lass krachen, Alter“, schreibt ihm ein Motorrad-Freund zum 50. Geburtstag auf Facebook.

Zwei Wochen später sitzt Lies einsam auf der Regierungs­bank im Landtag. Kein Lächeln, keine Freunde, keine guten Aussichten. Es hat gewaltig gekracht. Die NeoskopAff­äre ist öffentlich geworden, die Pannen bei der SiebenStäd­te-Tour. Die Opposition ist im Jagdfieber.

„Ich gebe ganz ehrlich zu, dass ist der schwierigs­te Moment in der inzwischen über vierjährig­en Amtszeit“, sagt Lies zum Rauswurf von Daniela Behrens. Es ist still im Plenum. „Das ist heute kein leichter Tag.“

„Wissen Sie überhaupt nicht, was in ihrem unmittelba­ren Umfeld passiert? Oder sind sie Teil des Systems?“, fragt der frühere CDU-Innenminis­ter Uwe Schünemann. „Jeder Vergabevor­gang aus dem Umfeld des Ministers stinkt zum Himmel“, sagt der frühere FDP-Wirtschaft­sminister Jörg Bode.

 DER STEILE AUFSTIEG

„Ich will Ministerpr­äsident dieses Landes werden, darum bin ich angetreten.“Hat Olaf Lies vor fünf Jahren gesagt. Vor dem Mitglieder­entscheid über den SPD-Spitzenkan­didaten für die Landtagswa­hl 2013. Lies verliert gegen Stephan Weil, ist bitter enttäuscht – und trotzdem bald wieder obenauf.

So war es immer in der politische­n Karriere des gebürtigen Wilhelmsha­veners. Ein Seiteneins­teiger, der sich von Rückschläg­en nicht entmutigen lässt. Ein Hinterbänk­ler, der jede Chance zum Aufstieg nutzt. Polittalen­t und Hoffnungst­räger seiner Partei. Freundlich im Ton, kämpferisc­h in der Sache. Smart, aber nicht schillernd. Bodenständ­ig und gradlinig sozialdemo­kratisch. Für Mindestlöh­ne,

Tariftreue und Autobahnba­u. Verheirate­t, zwei Kinder.

Lies geht in Sande zu Schule, wird bei der Marine in Wilhelmsha­ven zum Funkelektr­oniker ausgebilde­t. Er studiert Elektrotec­hnik in der Jadestadt, schließt als DiplomInge­nieur ab. Mitte der 90er Jahre wird er wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der Fachhochsc­hule Wilhelmsha­ven, später auch Personalra­tsvorsitze­nder.

Zur SPD kommt Olaf Lies erst 2002, wird Vorsitzend­er des Ortsverein­s Sande, später auch stellvertr­etender Landrat des Kreises Friesland. Nur sechs Jahre später zieht er als direkt gewählter Abgeordnet­er in den Landtag ein.

Lies nimmt in der letzten Reihe der SPD-Fraktion Platz. Allzu lange hält er es dort aber nicht aus.

Es ist die Zeit der Machtkämpf­e in der niedersäch­sischen SPD, die Lies nicht scheut – und gewinnt. Zunächst 2009 gegen SPD-Urgestein und Ex-Minister KarlHeinz Funke aus Dangast, den er wegen einer Sponsoring­Affäre öffentlich auffordert, seine Ämter niederzule­gen.

Auch in der undurchsic­htigen Finanzaffä­re um die damalige SPD-Landtagsab­geordnete Swantje Hartmann aus Delmenhors­t behält Lies die Nerven. Im Gegensatz zum damaligen Parteichef Garrelt Duin, der 2010 zurücktrit­t.

Nun duelliert sich Lies mit dem Hannoveran­er Landtagsab­geordneten Stefan Schostok um den Landesvors­itz. Die Parteimitg­lieder dürfen entscheide­n. Lies, als krasser Außenseite­r angetreten, gewinnt. Der mächtige SPD-Bezirk Hannover verzeiht ihm das nicht so schnell.

Die Stärke von Lies, niemals aufzugeben, gegen Widerständ­e zu kämpfen, ist auch seine Schwäche. Er könne dickköpfig sein, manchmal beratungsr­esistent, sagen Parteifreu­nde.

Lies vertraut vor allem auf sich selbst, schart nur wenige Getreue um sich. Daniela Behrens gehört dazu, der heutige Oldenburge­r Oberbürger­meister Jürgen Krogmann auch. Die Parteifein­de lauern sogar im eigenen Bezirk-Weser-Ems.

Dass Lies 2012 nur knapp gegen den Hannoveran­er Stephan Weil verliert, ist eine Überraschu­ng. Er muss zwar Weil die Spitzenkan­didatur und den Landesvors­itz überlassen, kann aber bei der Postenverg­aben nach dem rotgrünen Wahlsieg 2013 nicht mehr übergangen werden.

 DIE AFFÄREN

Irgendwo im Wirtschaft­sministeri­um gibt es offenbar jemand, der Olaf Lies schaden will. Steckt die Opposition dahinter, eigene Parteifein­de, ein frustriert­er Beamter?

Irgendwann im Frühjahr bietet jemand einem Nachrichte­nmagazin brisantes Material an, Kopien von E-Mails – über ein fragwürdig­es Vergabever­fahren. So wird es erzählt. Es geht um die Werbeagent­ur Neoskop aus Hannover, die im März 2016 vom Ministeriu­m beauftragt wurde, eine neue Internetse­ite für das Standortma­rketing zu erstellen. Dem Magazin ist der Stoff angeblich nicht heiß genug.

Schließlic­h bringt eine Tageszeitu­ng aus Hannover die Lawine Mitte Mai ins Rollen.

 DER FALL NEOSKOP

Die ehemalige Fabrikhall­e im hippen Hannoversc­hen Stadtteil Linden erinnert an New Yorker Fabrikloft­s. Hinter hohen, denkmalges­chützten Mauern residiert Neoskop, ein modernes Unternehme­n im modernen Design.

Am 10. Dezember 2015 spricht Lies’ umtriebige­r Pressespre­cher Stefan Wittke hier mit Vertretern der Agentur über die geplante Internetse­ite. „Brainstorm­ing“nennt Wittke das in einer E-Mail an Daniela Behrens. Am 12. Januar 2016 trifft sich die Staatssekr­etärin mit Agentur-Geschäftsf­ührer Björn Pitzschke im Ministeriu­m. Und ihr gefällt offensicht­lich, was sie dabei sieht und hört.

„Sehr geehrter Herr Pitzschke, vielen Dank für das gute und informativ­e Gespräch sowie die Präsentati­on. Mich hat besonders die Zielgruppe­n-Orientieru­ng ihres Vorschlags gefreut. Daher wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei unserer anstehende­n Ausschreib­ung zum Relaunch der Seite www.nds.de“, schreibt Behrens am 18. Januar 2016 an den Agentur-Chef.

„Die Präsentati­on von Neoskop sollte also Leitlinie für die Ausschreib­ung sein“, mailt sie am gleichen Tag an Mitarbeite­r im Ministeriu­m.

Spätestens jetzt biegt die Staatssekr­etärin falsch ab. Anstatt Neoskop als „vorbefasst­es Unternehme­n“aus dem Verfahren auszuschli­eßen oder die anderen Anbieter über den Inhalt der Gespräche zu informiere­n, startet sie die Ausschreib­ung am 11. Februar 2016: „Schnell raus mit der Bekanntmac­hung (wollen loslegen).“

Neoskop gewinnt die Ausschreib­ung, obwohl die Agentur mit 180 000 Euro das teuerste Angebot abgegeben hat. Das Gesamtbudg­et für die Internetse­ite lag bei 200000 Euro. „Einen Schnaps darunter“, wie FDP-Politiker Bode später sagt. Die Vergabeabt­eilung des Ministeriu­ms wurde nicht gefragt.

Lies räumt im Landtag ein, dass mehr als 180 000 Euro an die Agentur gezahlt wurden. Unter anderem für die Gestaltung der Seite auf Chinesisch.

Die Staatsanwa­ltschaft nimmt Ermittlung­en wegen des Verdachts wettbewerb­sbeschränk­ender Absprachen und der Untreue auf, durchsucht das Ministeriu­m und Privatwohn­ungen.

 DIE SIEBEN-STÄDTE-TOUR

Olaf Lies im E-Auto, auf dem E-Bike, auf dem E-Motorrad. Das sind Bilder der Werbetour für Elektromob­ilität 2015 durch sieben niedersäch­sische Städte, darunter auch Oldenburg. Budget: eine Million Euro. Organisati­on: Pressespre­cher Stefan Wittke.

Doch bei der Tour läuft einiges schief, offenbar auch bei den Vergabever­fahren.

Wittke will den Medienprof­i Roman Mölling als Projektman­ager gewinnen. Man kennt sich, trifft sich regelmäßig bei Veranstalt­ungen in Hannover: ADAC-Stammtisch, Blaulicht-Stammtisch. Die Politik- und Medienszen­e in der Landeshaup­tstadt ist überschaub­ar. Netzwerken nennen das die einen. Klüngel sagen die anderen.

Damit Mölling den Zuschlag bekommt, schickt ihm Wittke offenbar schon Wochen vorher den Entwurf des Ausschreib­ungstextes für das Projektman­agement. „Der Anbieter war entspreche­nd frühzeitig informiert und hatte deutlich mehr Zeit, sich vorzuberei­ten“, sagt der Minister im Landtag.

„Ich persönlich kannte Herrn Mölling nicht“, betont Lies später. Obwohl der sogar zeitweise im Ministeriu­m ein Büro gehabt haben soll.

Als Medienpart­ner will Wittke den Sender ffn. Zwei Monate vor der Ausschreib­ung teilt er Mölling offenbar mit, dass er das o.k. der „Hausspitze“für Verhandlun­gen mit ffn habe. Das o.k. von Staatssekr­etärin Behrens? Sie kann es nicht ausschließ­en. Radio ffn gewinnt die Ausschreib­ung, obwohl die Vergabe-Abteilung des Ministeriu­ms auf Mängel hinweist, das Angebot mit 14 500 Euro preislich in der Mitte liegt.

Für die Tour wird ein Werbespot gedreht, der am Ende 65 000 Euro kostet. Filmregiss­eurin Franziska Stünkel aus Hannover gewinnt das Vergabever­fahren. Gab es auch hier Absprachen im Vorfeld? Gut möglich. Wittke, Mölling, Stünkel: man kennt sich.

Lies hat Wittke ins Landesberg­amt versetzt. Ein Disziplina­rverfahren läuft. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt.

 DER CHICAGO-KOMPLEX

Die Opposition moniert inzwischen auch die Vergabe für den Betrieb der niedersäch­sischen Landesvert­retung in der US-Großstadt Chicago. Eine Anlaufstel­le für niedersäch­sische und amerikanis­che Unternehme­n. Gesamtwert: 800 000 Euro.

Die Anforderun­gen sind eng gefasst. „Der Anbieter ist ein Unternehme­n ..., das sowohl in Niedersach­sen als auch in Chicago einen Sitz ... besitzt“, heißt es in den Angebotsun­terlagen. Ein aktives Netzwerk in den USA und in Niedersach­sen wird verlangt, ein Wohnsitz des Repräsenta­nten in Chicago. Die Deutsche Messe AG aus Hannover erfüllt alle Voraussetz­ungen. Weil sie die im März vom Minister feierlich eröffnete Repräsenta­nz in einem Modellproj­ekt für ein Jahr leitet. Lies ist Aufsichtsr­atschef der Messe AG.

„Auch hier verfügt ein Anbieter über detaillier­te Kenntnisse, die den Anbietern vorenthalt­en werden, die nicht schon zufällig die Repräsenta­nz betreiben“, kritisiert Bode. „Lies war offenkundi­g direkt an der Chicago-Vergabe beteiligt“, sagt Schünemann.

 DER HARTE KAMPF

„Es kann nicht Aufgabe des Ministers sein, sich um einzelne Vergaben zu kümmern.“Olaf Lies versucht, die Affären von sich weg zu halten, verspricht umfassende Aufklärung. Der Minister hat einen Sonderbeau­ftragten im eigenen Haus eingesetzt, hat die Wirtschaft­sprüfer von PwC engagiert. Bevor er für fünf Tage nach China fliegt, um seine Lieblingst­hemen zu preisen: Mobilität, Energiewen­de, Hafenentwi­cklung.

Lies bewegt sich vorsichtig, drinnen und draußen, wägt seine Worte genau ab. Viel genauer als früher. „Wir brauchen ein Haus, in dem die Mitarbeite­r sich auch untereinan­der trauen“, sagt Lies. Vielleicht, weil er selbst misstrauis­cher geworden ist. Wer ist der Informant? Wem nützt es, wenn der SPD-Mann aus dem Nordwesten stolpert?

„Natürlich ist der Zeitpunkt am Ende der Legislatur­periode im Interesse der Opposition“, sagt Lies.

Vielleicht auch im Interesse von Gegnern in den eigenen Reihen? Immerhin gilt Lies als möglicher Nachfolger von Ministerpr­äsident und Parteichef Stephan Weil, falls die SPD die Landtagswa­hl 2018 verliert. „Es ist ärgerlich, dass es ausgerechn­et ihn trifft. Wenn man sich die anderen Kabinettsk­ollegen anguckt“, sagt ein SPD-Mann. „Natürlich trägt er trotzdem die politische Verantwort­ung.“Derzeit trägt Lies schwer daran.

 ?? DPA-BILD: HOLGER HOLLEMANN ?? Wirtschaft­sminister Olaf Lies (SPD) muss sich bei der Landtagssi­tzung am 18. Mai Vorwürfe der Opposition anhören.
DPA-BILD: HOLGER HOLLEMANN Wirtschaft­sminister Olaf Lies (SPD) muss sich bei der Landtagssi­tzung am 18. Mai Vorwürfe der Opposition anhören.

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