Nordwest-Zeitung

„Da wird Druck auf Kritiker gemacht“

Gökay Sofuoglu über deutsch-türkische Spannungen

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

FRAGE: Die Bundesregi­erung ändert ihren Kurs in der Türkeipoli­tik, erhöht den Druck auf Ankara. Ein richtiger Kurswechse­l? SOFUOGLU: Der Kurswechse­l war dringend notwendig, nachdem immer mehr deutsche Staatsbürg­er in der Türkei verhaftet worden sind. Die Bundesregi­erung hätte andernfall­s ihre Glaubwürdi­gkeit verloren, wenn sie nicht reagiert hätte. Diese Neuausrich­tung ist ein letztes Angebot an Erdogan zum Dialog und zur Rückkehr zur diplomatis­chen Vernunft. Die Tür für Ankara steht immer noch offen. FRAGE: Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) hat in einem offenen Brief klargestel­lt, dass sich die geplanten *aßnahmen und der Politikwec­hsel nicht gegen die türkische Be+ölkerung und auch nicht gegen Deutsch-Türken hier,ulande richten. -ie bewertet die Türkische Gemeinde in Deutschlan­d die .ußerungen des /i,ekan,lers? SOFUOGLU: Der offene Brief ist bei dem größten Teil der

Bevölkerun­g sehr gut angekommen. Das ist ein wichtiges positives Signal und ein vernünftig­es Angebot zum Dialog. Der deutsch-türkische Konflikt darf nicht auf dem Rücken der Menschen hier ausgetrage­n werden, die aus der Türkei stammen. Sie geraten immer mehr zwischen zwei Stühle. Türken und Deutsch-Türken, die hier leben, sind seit Jahren und Jahrzehnte­n ein Teil des Landes und seiner Gesellscha­ft. Es war sehr wichtig, dass der Außenminis­ter dies in dieser Situation noch einmal betont hat. Natürlich ist die Stimmung in der türkischen Gemeinde sehr unterschie­dlich. Es gibt Unterstütz­ung für Erdogan, aber auch Widerstand und Protest gegen seine Politik und Provokatio­nen. Das führt zu kontrovers­en Diskussion­en. Wer Erdogan kritisiert oder die Freilassun­g der inhaftiert­en Deutschen fordert, dem wird vorgeworfe­n, er sei kein richtiger Türke. FRAGE: *üsste es nicht ein klares, deutlich +ernehmbare­s Signal der Deutsch-Türken für 0echtsstaa­tlichkeit und Demokratie und gegen Erdogans Kurs geben? SOFUOGLU: Die Türkische Gemeinde bekennt sich zu Freiheit, Rechtsstaa­tlichkeit und den Grundwerte­n der Demokratie. Die Menschenre­chte müssen überall geachtet werden, auch in der Türkei. Das haben wir immer wieder klargestel­lt. Der Einsatz für Menschenre­chte ist kein Verbrechen, sondern das Fundament freiheitli­ch-demokratis­cher Gesellscha­ften. Aber es herrscht auch Angst und Unruhe in unseren Reihen. Wer seinen Urlaub in der Türkei verbringen will, hält sich vielleicht lieber etwas zurück mit seiner Kritik an Erdogan. FRAGE: Es heißt, Erdogans Arm würde immer stärker nach Deutschlan­d reichen. Seine Geheimdien­ste sollen hier,ulande Kritiker bespit,eln. -ie ernst ist diese Entwicklun­g? SOFUOGLU: Ich lebe seit 37 Jahren in Deutschlan­d. Der türkische Geheimdien­st war hier immer aktiv. Auch jetzt arbeitet er. Da wird Druck auf Kritiker gemacht. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Für die Türken und Deutsch-Türken hierzuland­e ist dies eine schwierige Situation. Ob im Alltag, am Arbeitspla­tz oder im Sportverei­n – überall wird man mit dem Türkei-Konflikt und Erdogans Provokatio­nen konfrontie­rt. Da droht eine Spaltung. Die Erfolge jahrzehnte­langer Integratio­n geraten in Gefahr.

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