„Da wird Druck auf Kritiker gemacht“
Gökay Sofuoglu über deutsch-türkische Spannungen
FRAGE: Die Bundesregierung ändert ihren Kurs in der Türkeipolitik, erhöht den Druck auf Ankara. Ein richtiger Kurswechsel? SOFUOGLU: Der Kurswechsel war dringend notwendig, nachdem immer mehr deutsche Staatsbürger in der Türkei verhaftet worden sind. Die Bundesregierung hätte andernfalls ihre Glaubwürdigkeit verloren, wenn sie nicht reagiert hätte. Diese Neuausrichtung ist ein letztes Angebot an Erdogan zum Dialog und zur Rückkehr zur diplomatischen Vernunft. Die Tür für Ankara steht immer noch offen. FRAGE: Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat in einem offenen Brief klargestellt, dass sich die geplanten *aßnahmen und der Politikwechsel nicht gegen die türkische Be+ölkerung und auch nicht gegen Deutsch-Türken hier,ulande richten. -ie bewertet die Türkische Gemeinde in Deutschland die .ußerungen des /i,ekan,lers? SOFUOGLU: Der offene Brief ist bei dem größten Teil der
Bevölkerung sehr gut angekommen. Das ist ein wichtiges positives Signal und ein vernünftiges Angebot zum Dialog. Der deutsch-türkische Konflikt darf nicht auf dem Rücken der Menschen hier ausgetragen werden, die aus der Türkei stammen. Sie geraten immer mehr zwischen zwei Stühle. Türken und Deutsch-Türken, die hier leben, sind seit Jahren und Jahrzehnten ein Teil des Landes und seiner Gesellschaft. Es war sehr wichtig, dass der Außenminister dies in dieser Situation noch einmal betont hat. Natürlich ist die Stimmung in der türkischen Gemeinde sehr unterschiedlich. Es gibt Unterstützung für Erdogan, aber auch Widerstand und Protest gegen seine Politik und Provokationen. Das führt zu kontroversen Diskussionen. Wer Erdogan kritisiert oder die Freilassung der inhaftierten Deutschen fordert, dem wird vorgeworfen, er sei kein richtiger Türke. FRAGE: *üsste es nicht ein klares, deutlich +ernehmbares Signal der Deutsch-Türken für 0echtsstaatlichkeit und Demokratie und gegen Erdogans Kurs geben? SOFUOGLU: Die Türkische Gemeinde bekennt sich zu Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und den Grundwerten der Demokratie. Die Menschenrechte müssen überall geachtet werden, auch in der Türkei. Das haben wir immer wieder klargestellt. Der Einsatz für Menschenrechte ist kein Verbrechen, sondern das Fundament freiheitlich-demokratischer Gesellschaften. Aber es herrscht auch Angst und Unruhe in unseren Reihen. Wer seinen Urlaub in der Türkei verbringen will, hält sich vielleicht lieber etwas zurück mit seiner Kritik an Erdogan. FRAGE: Es heißt, Erdogans Arm würde immer stärker nach Deutschland reichen. Seine Geheimdienste sollen hier,ulande Kritiker bespit,eln. -ie ernst ist diese Entwicklung? SOFUOGLU: Ich lebe seit 37 Jahren in Deutschland. Der türkische Geheimdienst war hier immer aktiv. Auch jetzt arbeitet er. Da wird Druck auf Kritiker gemacht. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Für die Türken und Deutsch-Türken hierzulande ist dies eine schwierige Situation. Ob im Alltag, am Arbeitsplatz oder im Sportverein – überall wird man mit dem Türkei-Konflikt und Erdogans Provokationen konfrontiert. Da droht eine Spaltung. Die Erfolge jahrzehntelanger Integration geraten in Gefahr.