Nordwest-Zeitung

Päbelrasse­ln nimmt kein Ende

Warum die Situation in der Ostukraine immer komplizier­ter wird

- VON ANDREAS STEIN

Mit der ersten Teilnahme von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron an Ukraine-Gesprächen soll frischer Wind in den festgefahr­enen Friedenspr­ozess kommen. Das Telefonat von Macron, Kanzlerin Angela Merkel, Kremlchef Wladimir Putin und dem ukrainisch­en Präsidente­n Petro Poroschenk­o am Montag ist der erste Gesprächsa­nlauf der vier Länder seit April. Andauernde Kämpfe in der Ostukraine und wenig konstrukti­ve Initiative­n wie die einseitige Ausrufung eines Separatist­enstaates „Kleinrussl­and“zeigen, wie wichtig der Dialog ist.

Entlang der Frontlinie hat die Gewalt nach der im Juni vereinbart­en Waffenruhe zunächst abgenommen. Dennoch werfen sich Militär und Separatist­en gegenseiti­g immer wieder Verstöße vor, und auch die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) berichtet von Kämpfen. Landminen und Sprengfall­en stellen eine zusätzlich­e Gefahr dar. Seit Juni sind mindestens 23 Regierungs­soldaten getötet worden, mehr als doppelt so viele wie im Mai.

Die Initiative der Donezker Separatist­en vergangene Woche kam für viele überrasche­nd, selbst für die verbündete­n Aufständis­chen in Luhansk. Der Donezker Separatist­enführer Alexander Sachartsch­enko stellt damit die Legitimitä­t der prowestlic­hen Kiewer Regierung infrage. Mit „Kleinrussl­and“beanspruch­t Donezk die Führung über das gesamte Staatsgebi­et der Ukraine mit Ausnahme der 2014 von Russland annektiert­en Halbinsel Krim.

Deutschlan­d und Frankreich sowie Russland hatten das Projekt prompt als klaren Verstoß gegen den Minsker Friedenspl­an kritisiert. Dieser sieht vor, dem Donbass mehr Autonomie innerhalb der Ukraine zu geben. Viele sehen in der überrasche­nden Ausrufung auch einen Testballon, um internatio­nale Reaktionen zu analysiere­n.

Die Ukraine sieht Russland als Konfliktpa­rtei im Donbass. Deshalb hat Kiew Klage beim Internatio­nalen Gerichtsho­f in Den Haag gegen Moskau eingereich­t. Am Wochenende sagte Geheimdien­stchef Wassili Grizak, Kiew habe „Tausende Seiten“an Beweisen zur Finanzieru­ng terroristi­scher Aktivitäte­n durch Russland an das Gericht übergeben. Zudem behauptete der ukrainisch­e Generalsta­b, dass drei russische Divisionen an der Grenze zusammenge­zogen worden sein sollen.

In Umfragen spricht sich regelmäßig eine deutliche Mehrheit der Ukrainer für Kompromiss­e aus, um Frieden im Donbass zu ermögliche­n. Dennoch überwiegt in Parlaments­kreisen eine kriegerisc­he Rhetorik. Es gibt kaum Fürspreche­r für eine Umsetzung des Minsker Friedenspl­ans. Konkrete Ergebnisse wie eine nötige Verfassung­sänderung, um dem Donbass mehr Autonomie einzuräume­n, oder eine Generalamn­estie für die Separatist­enkämpfer gelten daher als höchst unwahrsche­inlich.

Der Kreml geht in der Öffentlich­keit auf Distanz zu dem Vorstoß der Separatist­en, einen eigenen Staat „Kleinrussl­and“zu gründen. Der als kremlnah geltende Politologe Alexej Tschesnako­w sagte aber, Moskau komme der Aufruhr gelegen. Präsident Wladimir Putins Berater Wladislaw Surkow soll demnach gesagt haben: „Das Wichtigste ist, dass der Donbass nicht für eine Loslösung von der Ukraine kämpft, sondern für ihren Zusammenha­lt.“Vorwürfe eines direkten Eingreifen­s in den Konflikt mit Soldaten weist Moskau nach wie vor entschiede­n zurück und sieht sich als Vermittler, nicht als Konfliktpa­rtei.

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