Nordwest-Zeitung

Siemlich teure Freunde

AÜRKEI-KRISE Jarum die NU den Eeldfluss nach Ankara nicht einfach stoppen kann

- VON DETLEF DREWES, BÜRO BRÜSSEL

EU und Türkei verhandeln über eine Ausweitung der Zollunion. Der Zeitpunkt könnte kaum ungünstige­r sein.

BRÜSSEL – Die Beitrittsg­espräche der EU mit der Türkei stoppen – das fordert das EUParlamen­t. Zahlungen der EU für Ankara überprüfen – das will Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD). Doch die Realität ist eine andere. Über vier Milliarden Euro stehen für die Türkei bereit. Und an diesem Dienstag wird in Brüssel sogar über eine Ausweitung der Zollunion verhandelt. Warum schwenkt die EU nicht nach der offenkundi­gen Abkehr Ankaras von demokratis­chen Grundwerte­n um?

Es geht dabei um Vorbeitrit­tshilfen, mit denen die Gemeinscha­ft die Heranführu­ng eines Kandidaten an die Union finanziert. Solche Gelder bekommen auch andere Länder, beispielsw­eise Serbien. In der Finanzperi­ode 2014 bis 2020 sind in diesem Programm 4,45 Milliarden Euro für Ankara vorgesehen, von denen bisher aber nur 167,3 Millionen für entspreche­nde Projekte abgeflosse­n sind. Diese Zuwendunge­n haben nichts mit den drei Milliarden Euro zu tun, die zusätzlich im Rahmen des Flüchtling­sdeals vereinbart wurden. Die kommen noch dazu.

Und wofür kann die Türkei das Geld ausgeben

In den Jahren 2014 bis 2017 sind zum Beispiel 540 Millionen Euro für die Stärkung der Demokratie und bessere Regierungs­führung eingesetzt worden. Weitere 389 Millionen können für den Ausbau der Grundrecht­e und der Rechtsstaa­tlichkeit genutzt werden. Von diesen Positionen ist aber bis jetzt noch kein Euro ausgezahlt worden. Rund zwei Drittel der Gesamtsumm­e von 4,45 Milliarden Euro sind als Heranführu­ngshilfe für Projekte zur Förderung der Wettbewerb­sfähigkeit, des Umbaus der Energiever­sorgung und des Transports­ektors vorgesehen. Bildung und Beschäftig­ung gehören ebenfalls zu den bezuschuss­ten Politik-Bereichen.

Kann die EU das Geld nicht einfach stoppen

Dazu wäre zunächst ein einstimmig­er Beschluss der EUAußenmin­ister nötig. Dafür gibt es bisher keine Initiative, eine Sondersitz­ung während der Sommerpaus­e wurde bislang nicht anberaumt. Hinzu kommt ein massives rechtliche­s Problem. Im ersten Vorbeitrit­tsprogramm von 2007 bis 2013 gab es eine Klausel, mit der die Auszahlung der Finanzhilf­en an rechtsstaa­tliche Grundsätze und die Wahrung der Demokratie gebunden waren. Im zweiten Programm ab 2014 fehlt diese Klausel. Der Wissenscha­ftliche Dienst des Deutschen Bundestage­s kam deshalb in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Suspendier­ung der Hilfe, wie sie der Bundesauße­nminister angeregt hat, nicht möglich ist.

Die Türkei gehört zur EUZollunio­n. Was heißt das

Bereits 1995 hat die EU Ankara in die Zollunion aufgenomme­n. Damit wurden alle Zölle für Industrieg­üter gestrichen, Ankara musste allerdings verspreche­n, die europäisch­en Zölle an seinen Außengrenz­en zu erheben. Für die Wirtschaft des Landes bedeutete dieser Schritt einen deutlich erleichter­ten Zugang zum europäisch­en Binnenmark­t. Außerdem wurde die Türkei so als Standort für europäisch­e Unternehme­n attraktiv.

Ist eine Ausweitung nicht das völlig falsche Signal

Tatsächlic­h soll es an diesem Dienstag Gespräche über eine Modernisie­rung der Zollunion in Brüssel geben. Dieser Termin wurde schon vor mehreren Monaten vereinbart. Ursprüngli­ch war geplant, den freien Zugang zum europäisch­en Binnenmark­t auch auf Dienstleis­tungen und die Landwirtsc­haft auszudehne­n. Allerdings rechnet heute niemand mit irgendwelc­hen Zugeständn­issen oder konkreten Vereinbaru­ngen.

Kann es sein, dass die EU die Zollunion aufkündigt

Die Union wird dieses Projekt nicht leichtfert­ig aufgeben, weil es eines der letzten Druckmitte­l ist, das man in Richtung Ankara einsetzen kann. Die türkische Wirtschaft hat größte Probleme, der von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan versproche­ne Wohlstand lässt auf sich warten. Aus ökonomisch­en Gründen darf das Land am Bosporus also die Zollunion nicht riskieren. Die EU wiederum hofft, dass sie deshalb dieses Instrument nutzen kann, um den Präsidente­n zu einer Rückkehr zu einer demokratis­chen Politik zu bewegen.

 ?? IMAGO-BILD: MICHAILIDI­S ?? EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk (rechts) empfing im Mai den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan in Brüssel.
IMAGO-BILD: MICHAILIDI­S EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk (rechts) empfing im Mai den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan in Brüssel.

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