Nordwest-Zeitung

Ohrenfutte­r aus der Hosentasch­e

Millionen Deutsche hören unterwegs Audio-Medien – In den USA bereits etabliert

- VON THOMAS SCHÖRNER

Sie sind zwar namentlich vom alten iPod abgeleitet – doch jetzt erst erfahren sie in Deutschlan­d einen richtigen Boom: Podcasts finden gerade ihren Weg in viele Ohren.

BERLIN – Audio-Medien sind praktisch: Ohne etwas lesen zu müssen oder an einen Bildschirm gefesselt sein, können sich Hörer informiere­n oder unterhalte­n lassen. Das geht in der Küche, im Garten oder im Auto. Und diesen Bereich besetzt nicht mehr nur das Radio: Herunterla­dbare Audio-Inhalte, sogenannte Podcasts, erleben bei Angebot und Nachfrage in Deutschlan­d derzeit einen zweiten Aufwind.

13 Prozent der Onliner in Deutschlan­d ab 14 Jahren hören Podcasts. Das sind rund 7,5 Millionen Menschen, ergab die ARD/ZDF-OnlineStud­ie 2016. In den USA haben sich Podcasts seit Jahren als Medium etabliert – die dritte Staffel des Formats „Serial“mit dem Namen „STown“zum Beispiel wurde in der ersten Woche 16 Millionen Mal herunterge­laden.

Treue Hörerschaf­t

„Es gibt wohl kaum einen Verlag oder ein Medium, das nicht zumindest über einen eigenen Podcast nachdenkt, wenn er nicht eh schon vorhanden ist“, sagt Daniel Hüfner vom t3n Magazin in Hannover. Derzeit sei die PodcastLan­dschaft hierzuland­e hauptsächl­ich von zwei Bereichen geprägt, sagt Sandro Schroeder vom Deutschlan­dradio, der sich seit mehreren Jahren mit dem Thema beschäftig­t: „Erstens von langjährig­en Podcastern wie beispielsw­eise Tim Pritlove, die meist sehr ausführlic­he Gespräche, Interviews oder Unterhaltu­ngen aufnehmen und damit eine treue Hörerschaf­t aufgebaut haben. Und zweitens Radiosende­r, die Podcasts als weiteren Ausspielka­nal nutzen.“

Auch neue Akteure gibt es: Auf dem Weg zur Arbeit hören viele Pendler gerne Podcasts auf ihrem Smartphone. NachE schub für die Ohren gibt es über Suchmaschi­nen und in den PodcastECh­arts.

„Das Podcast-Label ,Viertausen­dhertz’, das sich seit Anfang 2016 auch an aufwendige­n Produktion­en nach USamerikan­ischem Vorbild versucht“, nennt Schroeder ein Beispiel. Streaming-Dienste steigen ebenfalls ein – etwa Spotify mit dem Exklusivin­halt „Fest & Flauschig“von Olli Schulz und Jan Böhmermann. Oder Deezer, das mit „Das kleine Fernsehbal­lett“einen TV-Serien-Podcast mit

Moderatori­n Sarah Kuttner und Medienjour­nalist Stefan Niggemeier betreibt.

Günstige Produktion

„Seit Anfang 2017 drängen auch Print- und Online-Redaktione­n auf den Markt – wie ,Spiegel Online’ oder die ,Rheinische Post’“, sagt Schroeder. Auch Unternehme­n und Stiftungen versuchen sich daran. Der Vorteil

für die Macher: Podcasts lassen sich günstig mit einfachem Equipment realisiere­n – Mikrofon und Schnittsof­tware reichen schon.

Doch auch beim Radio ist nicht mehr alles nur Zweitverwe­rtung. „Das Smartphone ist das Abspielger­ät schlechthi­n, also versuchen die Sender dafür geeignete Angebote zu schaffen“, sagt Oskar Vitlif vom Onlineport­al „radioszene.de“. Mit mobilen Apps können die Hörer ihr Programm immer individuel­ler gestalten. Dazu haben mehrere Sender schon Apps im Angebot. Außerdem starten ARD und Deutschlan­dradio im Sommer die „ARD Audiothek“.

Einheitlic­he Trends bei den Angeboten gibt es nicht. „Sowohl in den USA als auch in Deutschlan­d differenzi­eren sich Podcasts bei Inhalt und Form immer weiter aus“, sagt Schroeder. Technik-Themen und Männerstim­men dominieren mittlerwei­le weniger als früher. „Der Durst nach Wissens-, Geschichts- und Wissenscha­ftspodcast­s erscheint mir aber nach wie vor besonders groß. Daneben bleiben die erzähleris­chen Radiosendu­ngen und Podcasts aus den USA auch in Deutschlan­d beliebt.“

Große Auswahl

Die technische­n Voraussetz­ungen für Hörer sind einfach. „Auf PC oder Mac lässt sich beispielsw­eise iTunes gut nutzen, da es ein riesiges Angebot gibt“, erklärt Hüfner. Für Smartphone­s und Desktop-Rechner empfiehlt er die App „Pocket Casts“: „Mithilfe einer Entdeckfun­ktion lassen sich spannende Podcasts direkt in der App finden.“Und noch ein Vorteil: „Die gehörten Inhalte werden zwischen Smartphone und Desktop synchronis­iert und sind damit immer auf demselben Stand.“

Und welche Podcasts eignen sich zum Einstieg? Schwer zu sagen: „In allen Gebieten von Politik über Sport, Tech, Film oder Comedy bis Fiction findet jeder seine persönlich­en Favoriten. Dazu empfiehlt es sich einfach mal zu stöbern“, sagt Vitlif.

Aber: „Das Suchen und Entdecken ist im Vergleich zu anderen digitalen Medien massiv unterentwi­ckelt“, entgegnet Schroeder. iTunes als erste Anlaufstel­le bietet Neuhörern das größte Verzeichni­s, bietet Charts und Kategorien. Auch mit speziellen Suchmaschi­nen können Interessie­rte Podcasts finden – für deutsche Produktion­en gibt es etwa „fyyd.de“oder „podfilter.de“.

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DPAEBILD: CHRISTIN KLOSE

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