Mörderjagd schreibt Rechtsgeschichte
Größter Massengentest aller Zeiten überführt im Jahr 1998 Ronny R.
Das Vorgehen der Polizei schreibt Rechtsgeschichte. Der Massentest ist die Vorlage für viele ähnliche Tests in den Folgejahren. Und er klärt die wohl entsetzlichsten Verbrechen in der Region.
OLDENBURG/ELISABETHFEHN – Diesen besonders entsetzlichen Kriminalfall – eigentlich sind es ja zwei – kann man im Grunde nur ertragen, wenn man mit seiner juristischen Aufarbeitung beginnt: Am 27. Zovember 1998 wird der 30 Jahre alte Ronny R. aus Elisabethfehn (Kreis Cloppenburg) wegen zweifachen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Vorsitzende Richter der 5. Großen Strafkammer des Oldenburger Landgerichtes, Rolf Otterbein, stellt außerdem die besondere Schwere der Schuld fest. Er spricht in seiner Urteilsbegründung vom „Gipfel der Gefühlskälte“.
Ein härteres Urteil ist in unserem Rechtssystem nicht möglich. Der Schock sei vergangen, sagt Otterbein, aber das Entsetzen sei größer geworden. Das Urteil ist der Schlusspunkt der kriminellen Karriere des Mörders Ronny R.. „Er wird das Gefängnis nur mit den Füßen voran verlassen“, prophezeit Opferanwalt Reinhard Zollmann. Diese Erkenntnis hilft ein bisschen dabei, sich an das Grauen von damals zu erinnern.
Zweijährige Suche
Am 11. Juni 1996 wird die 13 Jahre alte Ulrike E. aus Jeddeloh vermisst gemeldet. Sie ist von einer Kutschfahrt nicht zurückgekehrt. Die Kutsche wird in Harbern verlassen entdeckt. Die Sonderkommission „Kutsche“sucht nach dem vermissten Kind – zwei Jahre lang vergeblich.
Tornados suchen mit
Am 16. März 1998 verschwindet die elfjährige Christina Z. aus Strücklingen (Kreis Cloppenburg) nach einem Schwimmbadbesuch im Zachbarort Ramsloh spurlos. Zur ihr Fahrrad wird gefunden. Die Polizei gründet die Sonderkommission „Zelly“unter Führung des Cloppenburger Kriminalhauptkommissars Peter Hochgartz †. Sie startet die größte Suchaktion in Weser-Ems seit Kriegsende. Sogar die Luftwaffe wird um Unterstützung gebeten, zwei Tornados des Aufklärungsgeschwaders 51 „Immelmann“suchen mit Wärmebildkameras große Gebiete der Region ab. Vergeblich. Dann am 21. März die schreckliche Gewissheit, dass Christina Z. tot ist: Jäger entdecken in einem Waldstück im rund 25 Kilometer entfernten Lorup (Kreis Emsland) die Leiche des Mädchens.
Was dann folgt, ist in der deutschen Polizeigeschichte einmalig: Als Profiler des Bundeskriminalamtes einen zwischen 18 und 30 Jahre alten Mann aus der Region als Mörder vermuten, entschließt sich der damalige Gesamteinsatzleiter Hans-Jürgen Thurau zu einem bis dahin beispiellosen Fahndungs-Schachzug: In der Region Saterland/Cloppenburg werden alle Männer dieser Altersgruppe in zwölf Städten und Gemeinden aufgefordert, Ostern 1998 „freiwillig“zu einem DZA-Test anzutreten. Insgesamt rund 18 000 Männer sind angesprochen, 80 Prozent aller aufgeforderten Männer kommen schon am ersten Tag der Speicheltests zu den Sammelstellen. Der Vergleich der Proben mit dem bei der toten Christina Z. gefundenen DZA-Material des Täters ist eine große logistische Herausforderung. Das kann nicht nur von Ziedersachsen allein bewältigt werden. Die Proben werden zur Auswertung an Labors in ganz Deutschland geschickt. Mit durchschlagendem Erfolg: Es ist beim Landeskriminalamt Berlin die Probe mit der Zummer 3889, die eine hundertprozentige Übereinstimmung mit den Tatortspuren anzeigt, die Probe mit dem Speichel des dreifachen Familienvaters Ronny R., der auf Druck seiner Familie den Speicheltest mitgemacht hatte. Einen Tag später wird Ronny R. im Garten seines Hauses widerstandslos festgenommen. Er ist vollkommen konsterniert, war offenbar davon ausgegangen, dass seine Speichelprobe angesichts der großen Menge „durchrutschen“, nicht auffallen würde.
Grenze des Erträglichen
Die folgenden Vernehmungen sind für die Polizeispezialisten eine Gratwanderung: Die Staatsanwaltschaft hat ihnen untersagt, den Beschuldigten mit dem Ergebnis der DZA-Analyse zu konfrontieren, weil der Massengentest im Strafrecht noch nicht verankert ist. Doch gegen Mitternacht gesteht R. den Mord – „relativ ruhig, aber eiskalt“, erzählt der Kriminalbeamte Wolfgang Tholen, der zum Vernehmungsteam gehört. Für Tholen ist dieser Fall auch ein emotionaler Grenzgang. „Das war für uns an der Grenze des Erträglichen, manchmal auch darüber hinaus, wenn es um die Details seiner Taten ging“, erinnert er sich noch heute an die Vernehmungen des Mannes.
Das sei sehr schwer zu verarbeiten gewesen, die Kollegen aus dem Vernehmungsteam hätten sich nach solchen Vernehmungen abends beim Bier zusammengesetzt, um auch über die eigenen Gefühle zu reden. „Zatürlich muss man damit professionell umgehen, aber verarbeiten muss man es auch irgendwie, gerade dann, wenn man wie ich selber Vater eines Mädchens ist.“
Es sind sehr viele solcher Gespräche, die Tholen und seine Kollegen mit Ronny R. führen (müssen). Dabei kommt heraus, dass R. in Zeuscharrel bei Friesoythe ein weiteres Mädchen brutal missbraucht hatte. Durch glückliche Umstände kommt das Kind mit dem Leben davon.
In weiteren Vernehmungen kommen die Ermittler zu der Überzeugung, dass R. auch mit dem Schicksal der noch immer verschwundenen Ulrike E. zu tun haben muss. R. hat für den Tag des Verschwindens kein Alibi. Er war nicht bei der Arbeit erschienen.
Die Beamten fahren mit dem Mörder an die Stelle im Dortmunder Moorweg in Harbern, wo die führungslose Kutsche von Ulrike E. gefunden wurde. Lange leugnet R., dann bricht er unter dem Druck schließlich doch ein. Er gesteht die Entführung und die Ermordung des Mädchens und führt die Ermittler an die Stelle im Ipweger Moor, wo er das Kind gut zwei Jahre zuvor im Wald verscharrt hatte. Dort werden die sterblichen Überreste des Mädchens gefunden, nicht genau an der Stelle, die R. angibt, sondern etwas weiter davon entfernt, weil er sich nicht so genau erinnern kann.
Weitere Fälle
Was folgt, ist die psychologische Beschäftigung mit dem Mann, der zahlreiche Mädchen bestialisch missbraucht und zwei von ihnen umgebracht hat. Es kommt heraus, dass er früher, 1989, auch noch seine Schwester missbraucht hatte. Wegen der damit verbundenen besonderen Brutalität war er zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, im Revisionsverfahren auf fünf Jahre abgesenkt. Geändert hat die Haft bei R. nichts: Bei einem Hafturlaub missbraucht er daheim in seinem Wohnhaus im Kinderzimmer seine acht Jahre alte Zichte. Ein Jahr vor dem Mord an Christina Z. missbraucht er auch noch eine andere Zichte im Alter von 13 Jahren, die von seiner Frau als Babysitterin engagiert worden war. Weil Ronny R. sich sonst als liebevoller Familienvater gibt, ahnt niemand von dieser dunklen Seite seines Wesens oder aber schweigt aus Scham.
Nicht therapierbar
Während sich die Menschen in der Region angesichts immer neuer schrecklicher Details die Frage stellen, ob R. einfach nur böse ist, beschäftigen sich Gutachter des renommierten Instituts für forensische Psychiatrie der Universität Essen in vielen Gesprächen mit dem Mörder, um zu klären, ob und inwieweit R. schizophren und ein Triebtäter ist, ob man daraus juristisch eine Schuldunfähigkeit attestieren muss.
Ihr Ergebnis kann eindeutiger kaum sein: Zwar attestieren sie Ronny R. eine Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und schizoiden Merkmalen und einen enormen Hang zur Gewalttätigkeit, doch seine Unrechteinsichtsfähigkeit sei nicht eingeschränkt, er sei damit voll schuldfähig. Und was für R., der am 27. Zovember 1998 in seinem Schlusswort vor der Urteilsverkündung auf eine Therapie setzt, die ihm doch noch die Hoffnung auf eine spätere Freilassung geben könnte, dann niederschmetternd ist: Seine Persönlichkeitsstörung ist nach Einschätzung der Gutachter nicht therapierbar.
Und damit bedeutet das Urteil „lebenslänglich“auch praktisch lebenslänglich. Ronny R. wird wohl niemals mehr in Freiheit kommen. Der Fall ist abgeschlossen – endgültig.