Nordwest-Zeitung

Blicke aus schwindeli­g machenden Höhen

Geiger Christian 9etzlaff und Pianist Leif Ole Andsnes begeistern in Emden

- VON HORST HOLLMANN

EMDEN – Einmal hat das norwegisch­e Fernsehen mit dem Hubschraub­er einen Flügel auf ein Bergplatea­u über einem Fjord gehievt. Auf dem Hocker an der Felskante sitzt Leif Ole Andsnes, Pianist von Weltrang. Ein Werbeeinfa­ll, aber auch ein Symbol für die musikalisc­he Höhe, auf der sich der 47-Jährige bewegt.

Christian Tetzlaff hat sich den Skandinavi­er zum kongeniale­n Partner erwählt. Der deutsche Geiger, vor vier Tagen mit dem Echo-Preis 2017 bedacht, erklimmt in der Musik Steilwände von HimalayaDi­mensionen. In Emden, Höhe einen Meter über Normalnull, schwingen sich die beiden in der ausverkauf­ten Neuen Kirche bei den Gezeitenko­nzerten der Ostfriesis­chen Landschaft zu schwindeli­g machenden Höhen hinauf.

Das Programm verlangt deshalb vom Hörer innere Mitarbeit. Janaceks Sonate für Violine und Klavier und Schostakow­itschs Sonate GDur op. 134 setzen schicksalh­afte Hammerschl­äge, zersplitte­rn und enden düsterresi­gnativ.

Schuberts nachgelass­ene drei Klavierstü­cke D 946 wirken eingängige­r, doch ungreifbar­e Trauer und Einsamkeit durchdring­en sie. Und in Bachs Partita d-Moll BWV 1004 für Violine solo mit der berühmten Chaconne balanciert die Musik auf einem Hochseil zwischen Intellekt und Sentiment.

Tetzlaff ist vielleicht der beste Bach-Spieler unserer Zeit, konstrukti­v, kontemplat­iv. Wenn er in diesem von vier Saiten begrenzten, doch alle Grenzen überschrei­tenden Kosmos in unfassbare Gefühlswel­ten vordringt, halten 420 Zuhörer den Atem an. Andsnes demonstrie­rt zeitgemäße­s Schubert-Spiel. Rasche Tempi zieht er leicht an, gemäßigte nimmt er noch ein wenig mehr zurück. Über die Stücke legt er einen schwebende­n Ton von Ferne, Geheimnis und zerbrechen­der Schönheit.

Beide vereinigt eine gewisse pulsierend­e Nervosität, wodurch in die meditative­n langsamen Sätze der Duos eine mystische Aura einzieht. Ihr Spiel ist bei aller Konzentrat­ion immer federnd, feurig, energiegel­aden – und wenn es die Partitur verlangt auch brutal. Nur klingen darf es nicht danach. Bei Tetzlaff/Andsnes ist das aber nur eine Facette auf einer Ausdruckss­kala, auf der man kein Ende sieht.

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