Wenn die Welt plötzlich auf dem Kopf steht
Oldenburgerin Friedelinde Petershofen startet am Freitag im Stabhochsprung in London
Bei der WM will sich Friedelinde Petershofen von der Atmosphäre tragen lassen. In Ehrfurcht vor den Stars der Szene erstarren, werde sie sicher nicht.
OLDENBURG – Der Erfolgslack ist leider verschütt gegangen, aber natürlich hofft Stabhochspringerin Friedelinde Petershofen dennoch auf einen Hochglanzauftritt, wenn sie an diesem Freitag zu ihrem bisher größten Wettkampf antritt. Die Oldenburgerin, die Anfang Juni bei ihrem Satz zur DM-Bronzemedaille über 4,55 Meter in eine neue Dimension vorgestoßen war, startet beim abendlichen Auftakt der WM in London in der Qualifikation und träumt davon, das Finale am Sonntag zu erreichen.
„So fit wie jetzt habe ich mich noch nie gefühlt“, sagt die ehrgeizige Blondine, die die letzten Tage vor dem WMAbenteuer mit einem Großteil des 72-köpfigen Teams des Deutschen Leichtathletik-Verbandes im Bundesleistungszentrum Kienbaum verbracht hat. Am Dienstagvormittag startete die 21-Jährige, die seit 2014 für den SC Potsdam antritt, mit etwa einem Fünftel der DLV-Aktiven von BerlinTegel aus nach London.
„Den Stab nehme ich bis zum Wettkampf nicht mehr in die Hand“, verrät Petershofen. Ankommen, eingewöhnen, Anlage angucken, leicht trainieren – so lautet das Programm bis zum großen Auftritt. Die frühere Athletin vom DSC Oldenburg gehört zu den Aktiven, die gleich zum WMAuftakt an diesem Freitagabend an der Reihe sind. Um 20.45 Uhr (21.45 Uhr deutscher Zeit/ZDF überträgt ab 22.15 Uhr) beginnt die Stabhochsprung-Qualifikation im 60 000 Zuschauer fassenden Olympiastadion. 400-MeterAss Ruth Spelmeyer (VfL Oldenburg) reist später an, weil ihr erster Lauf erst am Sonntag ansteht.
„Ich kann mir noch gar nicht ausmalen, wie es sein wird, in das ausverkaufte Stadion zu kommen – das ist echt etwas Großes“, meint Petershofen, die bei der U-23-EM im Juli in Polen mit 4,30 Metern Siebte wurde und seitdem auf ihren Koffer inklusive ihres „Erfolgsnagellacks“wartet.
„Ich habe so meine Rituale. Den Lack habe ich leider nirgends neu gefunden“, erzählt Petershofen, deren Eltern und Cousin unweit der Anlage auf der Tribüne sitzen werden. Auch zwei ehemalige DSCKolleginnen, Lara Diekmann und Constanze Hungar, drücken im Stadion die Daumen.
„Ich werde versuchen, so gut es geht zur Ruhe zu kommen“, sagt Petershofen. Dass sie vom Sprung ins Finale träumt, ist klar. „Wer tut das nicht – aber das wäre schon krass“, sagt die Höhenjägerin, deren Welt seit knapp zwei Monaten plötzlich kopf steht. Bei der DM in Erfurt pulverisierte sie ihre vorherige Bestleistung (4,30 Meter). Mit 4,55 Metern sprang sie zu Bronze und verdiente sich wie Siegerin Lisa Ryzih (28 Jahre/4,70 Meter bei der DM) und ihre erfahrene WM-Zimmergenossin Silke Spiegelburg (31/4,55) die Qualifikation für London.
Um da das Finale zu erreichen, muss Petershofen ihre Leistung wohl zumindest bestätigen, voraussichtlich toppen. In der Weltjahresbestenliste liegt sie auf Platz 29. Ganz oben thront die Griechin Katerina Stefanidi (4,85). „Ihre Konstanz ist beeindruckend – auch die besten US-Amerikanerinnen sind stark“, meint Petershofen mit Blick auf Sandi Morris (4,84/2. Rang) und Jennifer Suhr (4,83/3.).
Zudem traut Petershofen auch der Britin Holly Bradshaw (4,81/5.) viel zu. „Der Auftritt im eigenen Land kann beflügeln“, meint die Oldenburgerin, die sich das eine oder andere Detail abschauen („Ich bin ja noch Juniorin“), aber sicher nicht in Ehrfurcht vor den Stars der Szene erstarren will. Stattdessen möchte sie sich von der Kulisse tragen lassen. „Je grandioser die Atmosphäre ist, desto mehr werde ich gepusht“, sagt die Leichtathletin: „Ich liebe solche Auftritte.“