Nordwest-Zeitung

Achtung aufwachen!

- ANJA KOHL

Der Diesel-Gipfel lässt nur Verlierer zurück. Zum einen die Verbrauche­r, die von einer echten Kompensati­on für geschönte Abgaswerte weiterhin nur träumen können. Zum anderen die unsägliche Allianz aus Politik und Autoindust­rie, die sich durch ihre öffentlich­e Kungelei selbst diskrediti­ert hat, nicht in der Lage war, Vertrauen und Glaubwürdi­gkeit wiederherz­ustellen.

Riskiert wird damit nichts weniger als der Wohlstand unserer Nation, denn längst geht es nicht mehr nur um den Diesel. Mit mehr als 500 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr sind die Autobauer und ihre zahlreiche­n Zulieferer der Motor unserer Wirtschaft. Sie sorgen für ein Fünftel aller deutschen Exporte. Ziel kann nicht sein, die Selbstabsc­haffung und Zerstörung dieser Schlüsselb­ranche zu betreiben. Doch mit ihrer Weigerung zur Selbstkrit­ik, mit ihrem mangelnden Schuldeing­eständnis ist sie dabei, sich selbst die Grube zu graben, in die sie stürzen könnte. Hochmut kommt vor dem Fall.

Es ist dieser Tage viel vom Betrug am Kunden die Rede. Doch auch diese haben ihren Anteil an der Misere. Vielen Deutschen waren bei den geliebten, hochpreisi­gen Karossen die Abgaswerte schlicht egal, was diese Woche erneut sehr gute Verkaufsza­hlen der Hersteller belegten. Das Problem sitzt tiefer. Nun wird es existenzie­ll.

Die Autobranch­e hält auf Biegen und Brechen am Alten fest. Nur, wer den Wandel scheut, kommt auf die Idee – auf dem Höhepunkt der eigenen Entwicklun­g – Abgaswerte zu manipulier­en, Kunden zu betrügen. Ein Zeichen der Schwäche dem Neuen gegenüber. Die Autobranch­e preist stets die eigene Innovation­skraft, in ihrem Inneren aber dominiert eine Kultur des „weiter so“. Großbritan­nien, Frankreich, Norwegen und Indien denken längst an das Ende des Verbrennun­gsmotors. Unternehme­n wie Tesla oder Volvo tun es auch. Schon sehr bald wird es billiger sein, ein Elektroaut­o herzustell­en als einen Verbrenner.

Diese Entwicklun­g wird sich weiter verschärfe­n. Alte Produktion­skapazität­en werden nicht mehr gebraucht, denn Elektro-Autos brauchen viele Teile nicht mehr, schon gar keine Abgasreini­gung. Für die deutsche Zulieferer-Branche heißt das, dass kein Stein auf dem anderen bleiben wird. Deutschlan­d hat keine eigene Batteriepr­oduktion, Japan und Korea schon. Die USA werden die Software für die Autos der Zukunft liefern. Angesichts des Neuen verwandeln sich hierzuland­e gewachsene Stärken in Schwächen. Bislang reibungslo­se und hocheffizi­ente Produktion­sund Lieferkett­en werden zu teuren, schwerfäll­igen Altlasten.

Faktisch brachte der Diesel-Gipfel null Ergebnis. Sichtbar aber wurde eines: Wir alle müssen endlich aufwachen und gemeinsam den Wandel einer Schlüsselb­ranche gestalten. Wir alle heißt: Industrie, Politik und die Kunden.

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