SPD-Spitze schäumt über „schmutziges Spiel“
Der Mehrheitsverlust in Hannover schreckt die Bundespolitik auf
BERLIN/HANNOVER – Der SPDKanzlerkandidat Martin Schulz habe es erst aus den Nachrichtenagenturen erfahren, heißt es. Der Paukenschlag von Hannover sorgte am Freitag auch in der SPDSpitze in Berlin für Aufregung. Alarmstimmung im WillyBrandt-Haus, als die Eilmeldung über das Ende von Rot/ Grün in Niedersachsen und den überraschenden Wechsel der Landtagsabgeordneten Elke Twesten von den Grünen zur CDU über den Ticker läuft.
„Verrat“, „Schmutziges Intrigenspiel“, „Erbärmliches Schauspiel“, „politisch unanständig“, wettern die Genossen. „Völlig überrascht“sei man gewesen, heißt es. Eilig wird das SPD-Präsidium zu einer Telefonschaltkonferenz zusammengetrommelt. Krisenstimmung bei Schulz & Co. Sieben Wochen vor der Bundestagswahl kommt die Nachricht aus Hannover denkbar ungelegen. Nach den zuletzt drei verlorenen Landtagswahlen jetzt auch noch der Machtverlust an der Leine – die Stimmung unter den SPDSpitzen am Freitag in der Krisenrunde sei gedrückt gewesen. SPD-Chef Schulz habe gegenüber Ministerpräsident Stephan Weil „tiefe Betroffenheit“gezeigt und ihn der vollen Solidarität und Unterstützung versichert, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Niedersachsens Landesvater habe schnell klargemacht, dass er Neuwahlen anstreben und nicht zurücktreten werde.
Das Ende von Rot/Grün in Hannover – ein Gau für Weil und auch für Schulz, ein weiterer Rückschlag für die SPD und ihren Bundestagswahlkampf. Schock für Kanzlerkandidat Schulz und seine Parteifreunde, Freude bei der Union, die in den Meinungsumfragen weiter klar vor der SPDliegt.
„Was in Niedersachsen passiert ist, ist ein Verrat am Wählerwillen“, wetterte SPDGeneralsekretär Hubertus Heil. Es sei skandalös, dass die CDU „dieses unwürdige und schmutzige Spiel“einer Grünen-Abgeordneten mitmache und versuche, daraus Kapital zu schlagen, setzt der Wahlkampfmanager gleich wieder auf Attacke. In den nächsten Tagen werde sich zeigen, „seit wann und in welcher Weise die CDU und diese Abgeordnete im Gespräch standen“, wittert Heil eine lange vorbereitete Intrige, um die niedersächsische Landesregierung zu stürzen.
Die Grünen-Abgeordnete habe „ihre verletzte Eitelkeit und ihren persönlichen Frust über das Wohl des Landes gestellt“, weil ihre Partei sie nicht mehr für die nächste Landtagswahl aufgestellt hat. Neuwahlen in Niedersachsen seien jetzt der einzig richtige Weg, findet SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der aus Niedersachsen kommt. Auch er fordert, „die Hintergründe dieses undemokratischen Manövers“aufzuklären. „Ich will wissen, ob da mehr gewesen ist oder es weitergehende Zusagen der CDU Niedersachsen gegeben hat“, sagte Oppermann.
Ganz anders die Stimmung in der Union nach dem überraschenden Manöver in Hannover: „Offensichtlich zieht der Schulz-Effekt die SPD immer noch weiter runter“, stichelt Schwerer Schlag für Martin Schulz.
Unionsfraktionsvize Michael Fuchs. Rückenwind für Rot/Grün sehe anders aus. Niedersachsen sei ein großes Bundesland und brauche dringend eine handlungsfähige Regierung angesichts bevorstehender Herausforderungen wie etwa bei Volkswagen. „VW hat in den vergangenen Monaten eine Aneinanderreihung von Skandalen geboten. Ministerpräsident Weil hat als Aufsichtsratsvorsitzender in Sachen Aufklärung und Besserung völlig versagt“, erklärte Fuchs.
„Ein weiteres Debakel“für SPD-Kanzlerkandidat Schulz und seinen Wahlkampf sei das Scheitern der rot-grünen Koalition in Niedersachsen, erklärt Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth. „Wurde Rot/ Grün einst zu einem großen Zukunftsprojekt stilisiert, erweist sich diese Koalition nach den Wahlniederlagen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein jetzt auch in Niedersachsen als Auslaufmodell“, meint er.
Der frühere grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin aus Niedersachsen macht seinem Ärger über die EO-Parteifreundin mächtig Luft: „Elke Twesten hat mit den Stimmen der Bürgerinnen und Bürger für die Grünen Schindluder getrieben. Das ist auch menschlich und politisch enttäuschend“, erklärte er im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion und richtet schwere Vorwürfe an die CDU: „Die Union hat mit dem Instrument des Stimmenkaufs dieses Verhalten gefördert, gestützt und begünstigt“, sagte er. „Das hat zwar bei der CDU Niedersachsen traurige Tradition – erinnert aber eher an brasilianische Verhältnisse.“