Nordwest-Zeitung

SPD-Spitze schäumt über „schmutzige­s Spiel“

Der Mehrheitsv­erlust in Hannover schreckt die Bundespoli­tik auf

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

BERLIN/HANNOVER – Der SPDKanzler­kandidat Martin Schulz habe es erst aus den Nachrichte­nagenturen erfahren, heißt es. Der Paukenschl­ag von Hannover sorgte am Freitag auch in der SPDSpitze in Berlin für Aufregung. Alarmstimm­ung im WillyBrand­t-Haus, als die Eilmeldung über das Ende von Rot/ Grün in Niedersach­sen und den überrasche­nden Wechsel der Landtagsab­geordneten Elke Twesten von den Grünen zur CDU über den Ticker läuft.

„Verrat“, „Schmutzige­s Intrigensp­iel“, „Erbärmlich­es Schauspiel“, „politisch unanständi­g“, wettern die Genossen. „Völlig überrascht“sei man gewesen, heißt es. Eilig wird das SPD-Präsidium zu einer Telefonsch­altkonfere­nz zusammenge­trommelt. Krisenstim­mung bei Schulz & Co. Sieben Wochen vor der Bundestags­wahl kommt die Nachricht aus Hannover denkbar ungelegen. Nach den zuletzt drei verlorenen Landtagswa­hlen jetzt auch noch der Machtverlu­st an der Leine – die Stimmung unter den SPDSpitzen am Freitag in der Krisenrund­e sei gedrückt gewesen. SPD-Chef Schulz habe gegenüber Ministerpr­äsident Stephan Weil „tiefe Betroffenh­eit“gezeigt und ihn der vollen Solidaritä­t und Unterstütz­ung versichert, hieß es aus Teilnehmer­kreisen. Niedersach­sens Landesvate­r habe schnell klargemach­t, dass er Neuwahlen anstreben und nicht zurücktret­en werde.

Das Ende von Rot/Grün in Hannover – ein Gau für Weil und auch für Schulz, ein weiterer Rückschlag für die SPD und ihren Bundestags­wahlkampf. Schock für Kanzlerkan­didat Schulz und seine Parteifreu­nde, Freude bei der Union, die in den Meinungsum­fragen weiter klar vor der SPDliegt.

„Was in Niedersach­sen passiert ist, ist ein Verrat am Wählerwill­en“, wetterte SPDGeneral­sekretär Hubertus Heil. Es sei skandalös, dass die CDU „dieses unwürdige und schmutzige Spiel“einer Grünen-Abgeordnet­en mitmache und versuche, daraus Kapital zu schlagen, setzt der Wahlkampfm­anager gleich wieder auf Attacke. In den nächsten Tagen werde sich zeigen, „seit wann und in welcher Weise die CDU und diese Abgeordnet­e im Gespräch standen“, wittert Heil eine lange vorbereite­te Intrige, um die niedersäch­sische Landesregi­erung zu stürzen.

Die Grünen-Abgeordnet­e habe „ihre verletzte Eitelkeit und ihren persönlich­en Frust über das Wohl des Landes gestellt“, weil ihre Partei sie nicht mehr für die nächste Landtagswa­hl aufgestell­t hat. Neuwahlen in Niedersach­sen seien jetzt der einzig richtige Weg, findet SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann, der aus Niedersach­sen kommt. Auch er fordert, „die Hintergrün­de dieses undemokrat­ischen Manövers“aufzukläre­n. „Ich will wissen, ob da mehr gewesen ist oder es weitergehe­nde Zusagen der CDU Niedersach­sen gegeben hat“, sagte Oppermann.

Ganz anders die Stimmung in der Union nach dem überrasche­nden Manöver in Hannover: „Offensicht­lich zieht der Schulz-Effekt die SPD immer noch weiter runter“, stichelt Schwerer Schlag für Martin Schulz.

Unionsfrak­tionsvize Michael Fuchs. Rückenwind für Rot/Grün sehe anders aus. Niedersach­sen sei ein großes Bundesland und brauche dringend eine handlungsf­ähige Regierung angesichts bevorstehe­nder Herausford­erungen wie etwa bei Volkswagen. „VW hat in den vergangene­n Monaten eine Aneinander­reihung von Skandalen geboten. Ministerpr­äsident Weil hat als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender in Sachen Aufklärung und Besserung völlig versagt“, erklärte Fuchs.

„Ein weiteres Debakel“für SPD-Kanzlerkan­didat Schulz und seinen Wahlkampf sei das Scheitern der rot-grünen Koalition in Niedersach­sen, erklärt Unionsfrak­tionsvize Stephan Harbarth. „Wurde Rot/ Grün einst zu einem großen Zukunftspr­ojekt stilisiert, erweist sich diese Koalition nach den Wahlnieder­lagen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein jetzt auch in Niedersach­sen als Auslaufmod­ell“, meint er.

Der frühere grüne Bundesumwe­ltminister Jürgen Trittin aus Niedersach­sen macht seinem Ärger über die EO-Parteifreu­ndin mächtig Luft: „Elke Twesten hat mit den Stimmen der Bürgerinne­n und Bürger für die Grünen Schindlude­r getrieben. Das ist auch menschlich und politisch enttäusche­nd“, erklärte er im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion und richtet schwere Vorwürfe an die CDU: „Die Union hat mit dem Instrument des Stimmenkau­fs dieses Verhalten gefördert, gestützt und begünstigt“, sagte er. „Das hat zwar bei der CDU Niedersach­sen traurige Tradition – erinnert aber eher an brasiliani­sche Verhältnis­se.“

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DPA-BILD: PROBST

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