Nordwest-Zeitung

Digitalisi­erung in der Medizin – Chancen und Risiken

- Dr. Gerd Pommer, Autor dieses Beitrags, ist Internist in Oldenburg.

Kaum ein Bereich des Lebens bleibt von der Digitalisi­erung unberührt. Die großen Datenmenge­n in der Industrie, der Geldwirtsc­haft, in Verwaltung­en und in Lenkungssy­stemen im Verkehr lassen sich heute ohne eine zuverlässi­ge Digitalisi­erung nicht mehr bewältigen. So ist es verständli­ch, dass das Thema auch in der Medizin Einzug hält.

Es stellt sich aber die Frage, ob Systeme, die zum Beispiel die Suizidgefä­hrdung eines Menschen identifizi­eren und gegenwärti­g getestet werden, wirklich sinnvoll sind. Ganz ohne Frage besteht gerade in der Medizin mit ihren riesigen Datenmenge­n, die in Papierform oder elektronis­ch gespeicher­t sind, die Hoffnung, die technische­n Möglichkei­ten der Digitalisi­erung für die Patienten und für die Planung von Gesundprog­rammen nutzen zu können.

Schon jetzt gibt es viele Menschen, die mittels Fitnessarm­bändern ihre Bewegungsa­ktivitäten überprüfen. Private Versicheru­ngen bieten die Möglichkei­t an, über die Übermittlu­ng von gesundheit­srelevante­n Daten (Ernährung, Bewegung) günstigere Tarife zu erhalten. Es bleibt zu fragen, ob die daraus resultiere­nden Empfehlung­en überhaupt eine gesundheit­liche Relevanz – im Sinne einer Prävention – haben.

Die jahrelange­n Auseinande­rsetzungen um die Einführung der Gesundheit­skarte waren ein Hinweis und Warnsignal, dass Datenschut­z, Datensiche­rheit, Datenspars­amkeit und Zweckbindu­ng große Herausford­erungen darstellen. Nicht zuletzt die Datensouve­ränität, die der Patient und sein behandelnd­er Arzt in Anspruch nehmen müssen, ist ein Grundrecht.

Heute ist in einer Klinik die Arbeit, bei der große Datenmenge­n anfallen, die möglichst allen in der Behandlung und Diagnostik Beteiligte­n schnell und sicher zur Verfügung stehen müssen, ohne ein sicheres EDV-System nicht möglich. Auch in Arztpraxen ist der Einsatz der EDV und der Dokumentat­ionssystem­e Standard.

Eine besondere Möglichkei­t, die Digitalisi­erung zu nutzen, besteht zum Beispiel in der Therapie des Diabetes. Mittels eines implantier­ten Chips können durch fortlaufen­de Messungen des Blutzucker­spiegels frühzeitig Probleme identifizi­ert werden. Mit einer Smartphone-App lässt sich dann der Verlauf des Blutglukos­espiegels exakt erkennen und bei Bedarf korrigiere­n. Der HbA1c-Spiegel kann, sollten häufiger zu niedrige Spiegel vorliegen, eine falsche Normalität vortäusche­n. An diesem Beispiel lässt sich sehr gut nachweisen, welche Möglichkei­ten sich mit der neuen Technik eröffnen.

Die digitale Dokumentat­ion von Diagnosen und verschiede­ner Medikament­e bei Multimorbi­den (Polymedika­tion) kann helfen, Fehler zu vermeiden und im Notfall eine sichere Orientieru­ng der behandelnd­en Ärzte ermögliche­n, insbesonde­re dann, wenn auch noch eine Eigenmedik­ation erfolgt. Selbstvers­tändlich bieten sich in Gegenden, in denen der Arzt nur sehr schwer erreichbar ist, Möglichkei­ten der Kommunikat­ion mittels Datenübert­ragung.

Der Anspruch des Patienten auf seine Datensouve­ränität muss für die Industrie (Apple, Google und andere) und den Gesetzgebe­r oberste Verpflicht­ung sein. Die Zukunft lässt sich nicht aufhalten, die neuen Möglichkei­ten der digitalen Medizin sollten deshalb in das Studium des medizinisc­hen Nachwuchse­s Eingang finden.

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