Nordwest-Zeitung

Lieber mal kratzbürst­ig sein

Immer mehr Arbeit – Nette Menschen haben es zuweilen schwer

- VON ELENA ZELLE

Manchmal sollte man Veränderun­gen angehen. Dabei gilt es aber, sachlich zu bleiben.

HAMBURG/WIESBADEN – Wer nett zu Kollegen ist, muss nicht allein zu Mittag essen, und in der Teeküche herrscht statt distanzier­tem Schweigen lockere Plauderei. Manchmal bringen Kollegen einem auch einen Kaffee oder mal was Süßes mit. Wer nett ist, springt auch ein, wenn es mal eng wird. Nett sein heißt, gemocht werden – auch im Job. Klingt super, ist es aber nicht unbedingt. Für die Karriere ist es oft eher hinderlich – und kann einem sogar schaden.

Nett sein darf man nicht mit Freundlich­keit verwechsel­n: Ein höflicher Umgangston sollte im Job eine Selbstvers­tändlichke­it sein, wie Karrierebe­raterin Ute Bölke aus Wiesbaden sagt. Mit nett sein ist gemeint, dass man ständig die Aufgaben übernimmt, die sonst keiner will. Oder auch, dass man auf ruppige Ansagen oder unberechti­gt heftige Kritik so freundlich wie immer antwortet.

Wer nett ist, wird oft als JaSager wahrgenomm­en, warnt Anne Forster. Sie ist Karrierebe­raterin

und Coach in Zürich. Wer nur macht, was er gesagt bekommt, ärgert sich oft und staut dadurch auf Dauer einiges an Frustratio­n auf.

Coach Kristine Qualen aus Hamburg sieht bei diesen sehr netten Menschen, die zu allem Ja sagen, deshalb vor allem die Gefahr eines Burnouts. „Sie bekommen immer mehr Aufgaben oben drauf“, erklärt die Diplom-Psychologi­n. Erschweren­d kommt hinzu, dass die Ja-Sager in der Firma meist kein gutes Standing haben.

Für ihre Mühe bekommen

sie somit in der Regel keine Anerkennun­g: Die Aufgaben, die keiner will, sind meist solche, mit denen man zwar lange beschäftig­t ist, sich aber nicht profiliere­n kann. „Man bleibt unsichtbar“, erklärt Qualen. So bekommen die Netten immer mehr das Gefühl, ausgenutzt und mit Arbeit zugeschütt­et zu werden.

Es gibt einige Anzeichen, an denen Mitarbeite­r merken, ob sie zu nett sind. „Man wird nicht nach seiner Meinung gefragt und bringt sie von selbst nicht ein“, nennt Bölke als Beispiel. Und: „Weiterbild­ungen, Beförderun­gen und interessan­te Aufgaben laufen ohne einen.“

Bloß was ist dann zu tun? Bei Entscheidu­ngen ist es besser, sich etwas Bedenkzeit zu verschaffe­n, als reflexhaft Ja zu sagen. Laut Qualen kann man seinem Gegenüber dass so erklären: „Ich kann noch nicht direkt zusagen, ich möchte erst noch darüber nachdenken.“

Oder man wagt es einfach mal und sagt Nein und widerspric­ht – das kann auch im Freundeskr­eis oder in der Familie sein. Das kann zum Beispiel heißen, dass man sich bei der Diskussion um Unternehmu­ngen am Wochenende einbringt und die Vorschläge der anderen nicht einfach abnickt.

Auch Bölke rät, erst mal in seinem privaten Umfeld anzufangen, mit dem Ja-Sagen aufzuhören. Hilfreich sei zum Beispiel das Feedback von Freunden, ob man sich in dieser Hinsicht verändert habe. Außerdem kann man mit ihnen bestimmte Situatione­n aus dem Arbeitsleb­en besprechen und alternativ­e Verhaltens­strategien entwickeln.

Wichtig ist: Schraubt man seine Nettigkeit zurück und sagt Nein, sollte man das immer sachlich erklären können – und nicht etwa in Beleidigun­gen abrutschen.

 ?? BILD: MONIQUE WÜSTENHAGE­N ?? Schon wieder zu viel Arbeit? Man muss eben auch mal „nein“sagen können.
BILD: MONIQUE WÜSTENHAGE­N Schon wieder zu viel Arbeit? Man muss eben auch mal „nein“sagen können.

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