Der mühsame Weg aus dem Preistal
Nachwirkungen der Milchkrise noch spürbar – Wie es Betrieben in der Region geht
Viele Betriebe mussten Kredite aufnehmen. Nur dauerhaft stabile Preise könnten helfen, die Lage zu entspannen.
OLDENBURG – „Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie gehen morgens in den Stall und zahlen 360 Euro Eintritt, um dort den ganzen Tag zu arbeiten.“Mit dieser Situation sahen sich viele niedersächsische Milchbauern auf dem Höhepunkt der Milchpreiskrise im Juni 2016 täglich konfrontiert, sagte Gerhard Schwetje, Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, am Mittwoch in Oldenburg.
Zwar hätten die Auszahlungspreise für das Kilo Milch inzwischen wieder ein stabiles Niveau erreicht – überwunden sei die Krise aber noch nicht, erklärte er. Positive Nachrichten gebe es vor allem bei den Produktbereichen Trinkmilch, Butter und Käse. Im vergangenen Jahr, als die Krise ihren Höhepunkt erreicht hatte, hatten die Auszahlungspreise gerade mal bei 20 Cent je Kilo Milch gelegen und stellenweise sogar noch darunter, erklärte Schwetje.
Dennoch hätten viele Milchviehhalter noch immer mit den Nachwirkungen zu kämpfen, mussten sie doch teils Kredite aufnehmen oder
von ihren Reserven leben. Laut Prognose für das Wirtschaftsjahr 2016/17 (Zeitraum Juli 2016 bis Juni 2017) beträgt das Unternehmensergebnis im Schnitt vor Steuern rund 58 000 Euro. „Das reicht nicht aus, um die Lebenshaltungskosten von zwei Familien, die in aller Regel einen solchen Betrieb bewirtschaften, zu decken“, sagte Schwetje. Im Juni 2016 lag das Defizit für einen Betrieb mit 130 Kühen bei 10 700 Euro im Monat. Die gestiegenen Preise seien für viele Milchviehhalter zu spät gekommen. Derzeit geben jährlich vier bis fünf Prozent der Betriebe auf, erklärte er.
Für den Herbst zeichne sich laut Dr. Albert Hortmann-Scholten, Leiter des Unternehmensbereiches Betrieb der Kammer, ein Preisniveau
zwischen 36 und 40 Cent ab. Allerdings sei dies nur „die Einleitung einer Trendwende“. Denn „die Krise vieler Milchviehbetriebe ist durch die geringe Preisanhebung noch nicht überwunden,
da auch zahlreiche Kostenpositionen auf der Erzeugerseite steigen“. Außerdem sei der Wertschöpfungsanteil in der Milchvermarktung sehr gering. „Im letztjährigen Durchschnitt erhielt der deutsche Landwirt nicht einmal mehr die Hälfte des Einkaufspreises, die der Verbraucher an der Ladentheke ausgibt.“Sinnvoll könne daher die Erschließung neuer Geschäftsfelder wie der Direktvermarktung sein, was aber stark vom jeweiligen Betrieb abhänge.
Viele Höfe seien in einer wirtschaftlichen Verfassung, die eine Übergabe an die nächste Generation unmöglich mache, erklärte Anne Dirksen, Fachbereich Familie und Betrieb/Sozioökonomische Beratung der Kammer. Es gebe Familien, die wegen ihrer niedrigen Einkünfte Wohngeld oder Hartz IV in Anspruch nehmen müssten. Die Arbeitsbelastung nehme zu, da Geld fehle, um Mitarbeiter einzustellen. Überarbeitung bis hin zum Burnout seien die Folge. Zu wirtschaftlichen Problemen käme die fehlende gesellschaftliche Wertschätzung gegenüber Bauern, sagte Dirksen.
Eine Einschätzung, die auch Landwirt Christoph Burmester teilt. „Das Zitat ,Die Kunst Geld zu verlieren, während man 400 Stunden im Monat arbeitet, um Menschen zu ernähren, die glauben, man würde sie vergiften‘, beschreibt unsere Lage ganz gut“, erklärte er. Zu der Milchpreiskrise, in der sich ein Schuldenberg bei dem Milchviehhalter aus der Elbmarsch angesammelt hatte, kämen noch viele Vorschriften seitens der Politik, die teils sehr schnell umgesetzt werden müssten, was wiederum zu weiteren Ausgaben führe, sagte er. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müsse außerdem regelmäßig in neue Technik investiert werden. Schwarze Zahlen seien nur bei einem mehrere Jahre stabilen Milchpreis möglich.
Ans Aufgeben denkt der 31Jährige aber nicht. „Das Herz hängt am Betrieb und ich möchte meinen Kindern einen wirtschaftlich gesunden Betrieb übergeben können, wie es mein Vater damals tat.“
„Die Kunst Geld zu verlieren, während man 400 Stunden im Monat arbeitet, um Menschen zu ernähren, die glauben, man würde sie vergiften“
EIN UNBEKANNTER AUTOR ÜBER DIE LANDWIRTSCHAFT