Darum ist der Mann frei, der getötet hat
So erklärt der Sprecher des Landgerichts das bei Lesern umstrittene Urteil im Barßeler Fall
Das Urteil im Fall des Mannes, der seine Frau in Barßel getötet hat, bewegt unsere Leser. Wann man schuldlos ist, obwohl man jemanden getötet hat, erklärt Richter Michael Herrmann.
FRAGE: Wie kann es sein, dass jemand, der einen anderen Menschen getötet hat, frei aus einem Gerichtssaal geht? Da ist doch gefühlt mit dem Urteil irgendwas nicht in Ordnung. HERRMANN: Solch ein Urteil mag menschlich schwer nachvollziehen zu sein. Juristisch ist es eindeutig. Es ist das richtige Urteil. Und natürlich geht es einem nach einem Urteil auch mal drei Tage schlecht. Immer dann, wenn der Fall nicht aufgeklärt werden konnte, wenn man etwa freisprechen muss wegen Restzweifeln. Hier aber ist nichts unklar geblieben und daher gibt es keine Zweifel an dem Urteil. FRAGE: Lassen Sie uns noch mal auf den konkreten Fall zurückkommen. Die Anklage lautete doch auf Totschlag... HERRMANN: ...zuerst war Totschlag angeklagt, richtig. Dann stellte sich aber im Verlauf der Beweisaufnahme heraus, dass wir es hier mit einer Tötung auf Verlangen zu tun haben. Das bedeutet ganz konkret, die Frau wollte durch die Hand ihres Mannes sterben. FRAGE: Und das ist nicht strafbar? HERRMANN: Doch, ist es. Dafür sieht das Gesetz eine Strafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren Gefängnis vor. In diesem Fall ist das Gericht jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat nicht schuldfähig war. FRAGE: Also kann es sein, dass eine offenkundig strafbare Handlung nicht geahndet wird, weil die Schuld des Täters nicht eindeutig ist? HERRMANN: Das ist korrekt, ja. Wir haben in Deutschland kein Handlungsstrafrecht. Das Strafrecht ahndet nur schuldhaftes Handeln. FRAGE: Was bedeutet das? HERRMANN: Wenn Sie sich Sprecher des Landgerichts: Michael Herrmann
nachts im Schlaf herumdrehen und ihrer Frau dabei die Hand ins Gesicht schlagen, dann werden Sie natürlich nicht wegen Körperverletzung angeklagt. Obwohl die Handlung, also der Schlag ins Gesicht, eine Anklage natürlich hergeben würde. Sie haben aber im Schlaf nicht schuldhaft gehandelt. Insofern sind Sie nicht schuldig. In dem jetzt abgeurteilten Fall war nicht davon auszugehen, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt wegen seiner psychischen Verfassung voll schuldfähig gewesen ist. Und da sagt das Gesetz: Im Zweifel für den Angeklagten. Solch ein Fall wie dieser ist zugegeben eher selten. FRAGE: Wann ist jemand denn schuldfähig HERRMANN: Dazu müssen zwei Dinge gegeben sein: Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit. Das bedeutet, Ihnen muss klar sein, dass das, was Sie da gerade machen, irgendwie nicht richtig ist. Einen Menschen zu töten, ist nicht richtig. Das werden Sie vermutlich immer irgendwo im Hinterkopf haben. Die Einsichtsfähigkeit ist in den wenigsten Fällen aufgehoben. Die Steuerungsfähigkeit hingegen schon. Im Wahn, im Rausch, im Affekt... FRAGE: ...bin ich fein raus? Also ich trinke einfach drei Flaschen Wodka, bringe dann meine Frau um, werde freigesprochen und gehe nach Hause? HERRMANN: Natürlich nicht. Das vorsätzliche Herbeiführen der Steuerungsunfähigkeit wirkt nicht schuldbefreiend. Im Gegenteil. Aber wenn Sie mit jemandem zusammensitzen, mit dem Sie drei Flaschen Wodka trinken und dann in Streit geraten... FRAGE: ...und ich dann im Affekt zusteche, dann bin ich schuldunfähig? HERRMANN: Lassen Sie uns jetzt keine Dinge konstruieren. Was man aber sagen kann ist: A tötet B, A war steuerungsunfähig zum Tatzeitpunkt. Dann ist A nicht schuldfähig und ist freizusprechen. FRAGE: Wasistdennmiteiner Einweisung in die Forensik? HERRMANN: Grundsätzlich gilt, dass jemand nur dann in die Forensik eingewiesen wird, wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Und bevor Sie fragen: In diesem Fall hat das Gericht natürlich Gutachter bemüht, um das zu klären. So eine Frage können wir als Richter nicht allein beurteilen. Und das Ergebnis war eindeutig. Von diesem Mann geht keine Gefahr für die Allgemeinheit aus. FRAGE: Hat es nicht geheißen, dass er eventuell ein Mädchen aus der Verwandtschaft sexuell missbraucht haben soll? HERRMANN: Das war nicht mehr Gegenstand dieses Verfahrens. Es war auszuschließen, dass er seine Frau getötet hat, weil sie von dieser Tat, sollte sie denn stattgefunden haben, erfahren hat. Wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs wird es jetzt aber ein weiteres Ermittlungsverfahren geben.