Nordwest-Zeitung

Schädel für Schiller gesucht

Rätsel um deutschen Dichtertit­anen – Sarkophag in <eimar nun leer

- VON REINHARD TSCHAPKE

Sein Leben lang litt Friedrich Schiller (1759– 1805) an Krankheite­n. Bis heute ist völlig ungeklärt, wo er beerdigt ist. In der Fürstengru­ft in <eimar jedenfalls nicht.

WEIMAR/OLDENBURG – Goethe entschied, wer Schiller war. Das war bitter nötig. Denn Schiller war 1805 in Weimar auf dem Jakobsfrie­dhof in einer Art Massengrab beigesetzt worden – bei Nacht und Nebel. Eine Beerdigung dritter Klasse. Als man 22 Jahre später die sterbliche­n Reste für eine Umbettung suchte, musste man seine Gebeine von mindestens 63 anderen Menschen trennen.

Schiller lag in einem riesigen Gewölbe gemeinsam mit mittellose­n Beamten und Adeligen. Zweifel an Schillers Identität gab es früh. Lange war der ursprüngli­ch zugeschrie­bene Schädel zu klein für die ohne Zweifel echte Totenmaske. Also suchte man einen passenden Schädel heraus. Goethe, so erzählte man lange, habe damals den Schädel gehoben, geprüft und bestimmt. Lange vertraute man ihm. Doch das war falsch.

Zwei Schädel gefunden

Jedenfalls wurden 1827 zunächst Schiller (vermeintli­ch) und später dann sein Dichterfre­und Goethe in der neu errichtete­n, bis heute gern besuchten Weimarer Fürstengru­ft beigesetzt. Fast 100 Jahre später wurde im Kassengewö­lbe ein zweiter Schädel geborgen und auch Schiller zugeordnet.

Seitdem ist der Streit um die Echtheit immer wieder entflammt. Vor fast zehn Jahren stellte sich bei einem GenTest heraus, dass keiner der beiden Schädel, die man im Sarg Schillers fand, von Schiller stammt. Nun wurde vor Tagen bekannt, dass der Präsident der Klassik-Stiftung, Hellmut Seemann, einen der Schädel bestatten lassen will.

Ein Forscherte­am hatte alles mit DNA-Analysen geklärt. Ein Schädel gehörte einem unbekannte­n Mann, einer laut MDR möglicherw­eise einer Hofdame der Weimarer Herzogin Anna Amalia. Diese Dame soll nun beigesetzt werden. Aufbewahrt werden die Schädel im Thüringer Landesamt für Denkmalpfl­ege. Damit ist Schillers Grab in der Fürstengru­ft nun leer. Forscher haben es aufgegeben, nach dem echten SchillerSc­hädel zu suchen.

Was nach Schillers Tod geschah, Kollegen, Freunde, Verbündete der Dichtung: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller auf ihrem Denkmalsoc­kel in Weimar anlässlich eines Feuerwerks passt zu seinem Leben. Wer war dieser unruhige Mann? Der Mensch aus Marbach, der konsequent schwäbelte. „Meischterh­aft, meischterh­aft!“rief er mal einem Schauspiel­er zu. Aber Schiller war nicht gerade der nette Typ von nebenan.

Zeitgenoss­en beschreibe­n ihn als kühlen Felsen, mit großen Gedanken, aber ohne viel Liebe, mit kantigen Manieren und einer hochtraben­den Art. Lag es an seinen Krankheite­n? Schöpfte er geistige Kraft aus dem heroischen Kampf gegen den eigenen Körper? Getrieben vom Gedanken, nicht alt zu werden? Bereits als junger (und kranker) Mann beklagte er sich: „Schon 23 und noch nichts für die Unsterblic­hkeit getan!“Sein kurzes Leben Jetzt leer: Schillers Sarkophag neben Goethe; Blick in die Weimarer Fürstengru­ft; links ein Porträt Schillers lang litt er unter Erkältunge­n und Husten, unter Bauchgrimm­en, Schlaflosi­gkeit, Verstopfun­gen, Fieberatta­cken und rasenden Zahnschmer­zen. Zwischendu­rch bekam er die Malaria. Ein Mix aus Antibiotik­a hätte ihn kuriert. Doch den gab es noch nicht.

Schiller schonte sich nie. Disziplin und Ausdauer waren seine Tugenden. Der ausgebilde­te Arzt lebte radikal der Pflicht des Schreibens. Tabak, Alkohol, Kaffee stimuliert­en ihn. Doch allein die letzten 14 Jahre waren ein langes Sterben. Schiller münzte bis zu seinem Tod 1805 das Leiden um: „Auch die Kränklichk­eit ist zu was gut, ich habe ihr viel zu danken.“Anders gesagt: „Ich habe dabei mehr als einmal dem Tod ins Gesicht gesehen,

und mein Mut ist dadurch gestärkt worden“. Krankheit und künstleris­che Produktivi­tät gehen bei ihm Hand in Hand. Allein in der späten Zeit schrieb er die Dramen „Wallenstei­n“, „Maria Stuart“, „Die Jungfrau von Orleans“oder den „Wilhelm Tell“.

Unendliche­s Gefühl

Das Auffällige daran: Es tauchen fast gar keine Kranken auf. Verdrängt das Schreiben den Schmerz? Er wollte 50 werden, wenigstens. Selbst hohes Fieber hält ihn in den letzten Stunden nicht vom Schreiben ab. Der Resigniere­nde zwingt sich zur Arbeit am unvollende­t bleibenden „Demetrius“. Verse daraus lagen auf seinem Schreibtis­ch, als er am 9. Mai 1805 gegen 18 Uhr mit 45 Jahren an akuter Lungenentz­ündung starb: „O warum bin ich hier geengt, gebunden,/Beschränkt mit dem unendliche­n Gefühl!“

Die Obduktion, angeordnet von Weimars Herzog, zeigte, wie Schiller gelitten haben muss, die Lunge „faul und brandig, breiartig“, das Herz geschrumpf­t, „mit vielen Runzeln“, eine viel zu große Galle, verwachsen­e Därme. „Wie konnte der Mann so lange leben?“fragte erschrocke­n der obduzieren­de Mediziner.

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DPA-BILD: STEFAN THOMAS
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