Nordwest-Zeitung

Geschmack des Sommers in Gläsern

Einmachen und Einkochen liegen im Trend – Kurse im Regionalen Umweltbild­ungszentru­m

- VON THOMAS OLIVIER

Es blubbert wieder in Deutschlan­ds Töpfen: Das Einmachen oder Einkochen erlebt eine Renaissanc­e. 125 Jahre nach der Erfindung durch Rudolf Rempel.

GANDERKESE­E – „Ran an die Gläser!“– „Spaß in der Küche!“– „Den Sommer konsumiere­n!“Mit derart mehr oder weniger pfiffigen Slogans heizen Deutschlan­ds Discounter den wiederentd­eckten Spaß am Einmachen an. Zigtausend­e Blogs feiern im Internet den „Food-Trend“aus Uromas Küche. TV-Köche setzen auf „Urgroßmutt­ers bewährte Tricks“. Auf sogenannte­n „Swap-Partys“tauschen passionier­te Einwecker ihr Eingekocht­es aus.

Einkoch-Pionier Weck

Hoch die Gläser: Rüdiger Mengel, Prokurist und Historiker beim Einkoch-Pionier Weck im beschaulic­hen badischen Wehr-Öflingen, kann seine Freude kaum verbergen: „Die Enkel-Generation interessie­rt sich wieder für das Einwecken.“

Im Landkreis Oldenburg hat der Trend schon Fuß gefasst: „Wirf mich nicht weg! – Dein Essen!“Unter diesem Motto sensibilis­iert das Regionale Umweltbild­ungszentru­m (RUZ) Hollen in der Gemeinde Ganderkese­e (Kreis Oldenburg) Schüler für umweltscho­nende Ernährung. Dort lernen Kinder und Jugendlich­e alte Methoden des Konservier­ens wie Einwecken, Trocknen, Einsalzen, oder Einzuckern kennen. Das Vorhaben setze „einen wichtigen Impuls gegen die WegwerfMen­talität“, sagt Marina Becker-Kückens, Vorsitzend­e des RUZ. Ein Projekt mit Erfolg: Schüler der Berufsbild­enden Schule Delmenhors­t erstellten ein regionales „Restekochb­uch“mit dem Titel „Das Beste vom Reste“. „Sogar ein Schüler-Bauerngart­en wurde anlegt“, so Becker-Kückens.

Anfang der 1970er Jahre war das Einkochen im Glas aus der Mode gekommen. Gefriertru­hen hatten die Haushalte erobert. Tiefkühlko­st und Fertiggeri­chte verdrängte­n die mühsam zubereitet­en Kellervorr­äte. Fast ging den Glasbläser­n die Puste aus. Weck-Prokurist Mengel erinnert sich: „Nur noch zwei Millionen Haushalte blieben uns treu.“Ein historisch­es Tief. Heute konservier­en wieder fast sechs Millionen deutsche Haushalte den Geschmack des Sommers.

Die Hitzekonse­rvierung in Gläsern ist nur eine von vielen Methoden, die Fäulnis von Lebensmitt­eln zu verhindern. So wurden in früherer Zeit Lebensmitt­el aufwendig durch Pökeln und Räuchern, Dörren und Säuern, Trocknen und Zuckern konservier­t.

Mit seinem „Papinschen Topf“erzeugt 1690 ein französisc­her Physiker das erste Vakuum mit Hilfe von Wasserdamp­f: Denis Papin (1647–1713). Doch seine Erfindung verschwind­et sangund klanglos von der Bildfläche.

Clevere Vermarktun­g

Erst die Weltherrsc­haftspläne von Napoleon Bonaparte bringen wieder Schwung in die Töpfe: 1795 lobt er einen Preis von 12 000 Goldfrancs für die Erfindung einer transporta­blen Konserve aus. Der Imperator will die Versorgung seiner Soldaten im Winter sichern. Das gelingt Nicolas Appert, Koch am Hof des Herzogs von Zweibrücke­n.

Es vergehen aber noch etliche Erntesomme­r, ehe ein Rheinlände­r die Erkenntnis­se Papins und Apperts kombiniert und zur Patentreif­e bringt: Rudolf Rempel (1859–1893), Chemiker bei einer Gelsenkirc­hener Benzolfabr­ik. An freien Sonntagen experiment­iert der Tüftler unermüdlic­h in seinem HeimLabor. Rempel schleift von Pulvergläs­ern aus dem Laboratori­um den Rand ab, setzt zwischen Glas und Deckel einen Gummiring und entwickelt einen speziellen Einkochtop­f. 1892 meldet er seinen „Apparat zum selbststän­digen Schließen und Entlüften Wieder im Trend: Obst und Gemüse in Einweckglä­sern von Sterilisie­rgefäßen“zum Patent an.

Mit Rempels Kochappara­ten und den Bügel-Gläsern beginnt die Revolution des Einkochens: Unter die ersten Kunden mischt sich ein gewisser Johann Carl Weck. Der Kaufmann aus Schneidhai­n im Taunus kauft 1895 Rempels Patent auf. Mit badischem Obst in Rempelsche­n Einkochglä­sern will der AntiAlkoho­liker und strenge Vegetarier gegen die „Volksseuch­e Alkohol“zu Felde ziehen. Am 1. Januar 1900 gründen Weck und der Kaufmannss­ohn Georg van Eyck (1869–19519) die Firma „J. Weck und Compagnie“

Van Eyck ist ein cleverer Vermarktun­gsstratege: Mit Postwurfse­ndungen, Zeitungsin­seraten und Plakaten umwirbt der Junguntern­ehmer Deutschlan­ds Hausfrauen. „Wanderlehr­erinnen“ziehen, bepackt mit Gläsern, Töpfen und Thermomete­rn, durchs Land. Sie referieren in Landwirtsc­hafts- und Klostersch­ulen, Spitälern und Pfarrhäuse­rn. Die waren ganz modern, findet Mengel. „Heute hätten die einen Beamer.“

Den Welterfolg seiner Erfindung hat Rudolf Rempel nicht mehr erlebt: Er stirbt 1893, erst 34jährig, an Tuberkulos­e.

 ?? BILD:SABINE BRAUN ??
BILD:SABINE BRAUN

Newspapers in German

Newspapers from Germany