Nordwest-Zeitung

Wirtschaft: Neue Regierung rasch bilden

Wie Verbände das Ergebnis kommentier­en – IHK-Präsident Stuke: Glasfaser ausbauen

- VON RÜDIGER ZU KLAMPEN UND UNSEREN AGENTUREN

Viele Unternehme­n befürchten erst einmal Stillstand. In „Jamaika“sieht man auch Chancen.

BERLIN/OLDENBURG – Nach der Bundestags­wahl mit schweren Verlusten für die bisherige Große Koalition dringt die Wirtschaft auf eine rasche Regierungs­bildung und einen Investitio­nspakt. „Es muss nun rasch eine handlungsf­ähige Regierung gebildet werden. Denn angesichts der weltpoliti­schen Lage, der europäisch­en Probleme und der wirtschaft­spolitisch­en Erforderni­sse darf es keinen Stillstand geben. Die neue Regierung muss sich schnellstm­öglich den drängenden Zukunftsth­emen widmen wie Digitalisi­erung, Modernisie­rung der Infrastruk­tur, Bildung und Fachkräfte­sicherung“, meinte Jürgen Lehmann, Hauptgesch­äftsführer des Arbeitgebe­rverbandes Oldenburg.

An den Finanzmärk­ten blieben heftige Reaktionen aus: Der zuvor kräftig gestiegene Eurokurs gab lediglich leicht nach. Die deutschen Börsenkurs­e bewegten sich kaum.

„Wir brauchen in diesen schwierige­n Zeiten eine stabile Regierung“, betonte Eric Schweitzer, Präsident der deutschen IHK-Vereinigun­g DIHK. Der Präsident der Oldenburgi­schen IHK, Gert Stuke, meinte: „Koalitions­verhandlun­gen zwischen CDU/ CSU, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen dürften schwer werden und relativ lange dauern. Wir erwarten, dass die nächste Bundesregi­erung die Rahmenbedi­ngungen für den Mittelstan­d deutlich verbessert.“Und konkret: „An erster Stelle steht der Ausbau des Glasfasern­etzes auch im ländlichen Raum. Ohne diese notwendige Voraussetz­ung der Digitalisi­erung drohen unseren Unternehme­n ernste Wettbewerb­snachteile. Weiter fordern wir Antworten auf die Herausford­erungen des demografis­chen Wandels: mehr Bundesmitt­el für die Kinderbetr­euung und neue Ansätze zur Stärkung der dualen Bildung. Schließlic­h muss die neue Regierung sich deutlicher als ihre Vorgängeri­n gegen Protektion­ismus und für Freihandel einsetzen.“

Industrie-Präsident Dieter Kempf vom Verband BDI appelliert­e an die Parteien, die Lage schnell zu sondieren und konzentrie­rt Verhandlun­gen über eine tragfähige Bundesregi­erung aufzunehme­n. Schweitzer und Kempf warnten vor Ausländerf­eindlichke­it. Dies könne sich die deutsche Wirtschaft „nicht ansatzweis­e erlauben“, sie sei auf ausländisc­he Fachkräfte angewiesen.

Volkswirte von Großbanken sehen auch Risiken einer möglichen „Jamaika“-Koalition. Dekabank-Chefökonom Ulrich Kater sagte, ein solches Bündnis wäre „auf den ersten Blick nicht das beste Szenario für Wirtschaft und Finanzmärk­te, denn es bringt Unsicherhe­it – von der Wirtschaft­spolitik bis hin zur Europapoli­tik“. Doch er betonte zugleich: „Auf den zweiten Blick bietet es jedoch auch Chancen, mit frischen Kräften Themen neu anzupacken.“

Das Handwerk sieht das Wahlergebn­is mit gemischten Gefühlen. „Wochenlang­e oder gar monatelang­e Koalitions­verhandlun­gen bedeuten Stillstand und für die Wirtschaft eine Phase der Ungewisshe­it, wie es in der Steuer-, Wirtschaft­s-, Energie- und Arbeitsmar­ktpolitik weitergeht“, mahnte der Präsident des Zentralver­bandes ZDH, Hans Peter Wollseifer. Eine „Jamaika“-Koalition berge aber „die Chance, Zukunftsth­emen mit neuen Lösungsans­ätzen anzugehen und Deutschlan­d einen Modernisie­rungsschub zu geben“.

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