Wirtschaft: Neue Regierung rasch bilden
Wie Verbände das Ergebnis kommentieren – IHK-Präsident Stuke: Glasfaser ausbauen
Viele Unternehmen befürchten erst einmal Stillstand. In „Jamaika“sieht man auch Chancen.
BERLIN/OLDENBURG – Nach der Bundestagswahl mit schweren Verlusten für die bisherige Große Koalition dringt die Wirtschaft auf eine rasche Regierungsbildung und einen Investitionspakt. „Es muss nun rasch eine handlungsfähige Regierung gebildet werden. Denn angesichts der weltpolitischen Lage, der europäischen Probleme und der wirtschaftspolitischen Erfordernisse darf es keinen Stillstand geben. Die neue Regierung muss sich schnellstmöglich den drängenden Zukunftsthemen widmen wie Digitalisierung, Modernisierung der Infrastruktur, Bildung und Fachkräftesicherung“, meinte Jürgen Lehmann, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Oldenburg.
An den Finanzmärkten blieben heftige Reaktionen aus: Der zuvor kräftig gestiegene Eurokurs gab lediglich leicht nach. Die deutschen Börsenkurse bewegten sich kaum.
„Wir brauchen in diesen schwierigen Zeiten eine stabile Regierung“, betonte Eric Schweitzer, Präsident der deutschen IHK-Vereinigung DIHK. Der Präsident der Oldenburgischen IHK, Gert Stuke, meinte: „Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/ CSU, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen dürften schwer werden und relativ lange dauern. Wir erwarten, dass die nächste Bundesregierung die Rahmenbedingungen für den Mittelstand deutlich verbessert.“Und konkret: „An erster Stelle steht der Ausbau des Glasfasernetzes auch im ländlichen Raum. Ohne diese notwendige Voraussetzung der Digitalisierung drohen unseren Unternehmen ernste Wettbewerbsnachteile. Weiter fordern wir Antworten auf die Herausforderungen des demografischen Wandels: mehr Bundesmittel für die Kinderbetreuung und neue Ansätze zur Stärkung der dualen Bildung. Schließlich muss die neue Regierung sich deutlicher als ihre Vorgängerin gegen Protektionismus und für Freihandel einsetzen.“
Industrie-Präsident Dieter Kempf vom Verband BDI appellierte an die Parteien, die Lage schnell zu sondieren und konzentriert Verhandlungen über eine tragfähige Bundesregierung aufzunehmen. Schweitzer und Kempf warnten vor Ausländerfeindlichkeit. Dies könne sich die deutsche Wirtschaft „nicht ansatzweise erlauben“, sie sei auf ausländische Fachkräfte angewiesen.
Volkswirte von Großbanken sehen auch Risiken einer möglichen „Jamaika“-Koalition. Dekabank-Chefökonom Ulrich Kater sagte, ein solches Bündnis wäre „auf den ersten Blick nicht das beste Szenario für Wirtschaft und Finanzmärkte, denn es bringt Unsicherheit – von der Wirtschaftspolitik bis hin zur Europapolitik“. Doch er betonte zugleich: „Auf den zweiten Blick bietet es jedoch auch Chancen, mit frischen Kräften Themen neu anzupacken.“
Das Handwerk sieht das Wahlergebnis mit gemischten Gefühlen. „Wochenlange oder gar monatelange Koalitionsverhandlungen bedeuten Stillstand und für die Wirtschaft eine Phase der Ungewissheit, wie es in der Steuer-, Wirtschafts-, Energie- und Arbeitsmarktpolitik weitergeht“, mahnte der Präsident des Zentralverbandes ZDH, Hans Peter Wollseifer. Eine „Jamaika“-Koalition berge aber „die Chance, Zukunftsthemen mit neuen Lösungsansätzen anzugehen und Deutschland einen Modernisierungsschub zu geben“.