„Holder Sang singt zu mir her ...“
Richard Wagner und seine Umgebung in Liedern – Erster Liederabend der laufenden Saison
OLDENBURG – Richard Wagner – das ist doch Oper, dazu urteutonisch. Es gibt aber auch eine Menge Gelegenheitskompositionen von Wagner, vor allem Lieder, Chorgesänge und Klavierwerke. Der 1. Liederabend der Saison unter Beteiligung bekannter und neu engagierter Künstler des Staatstheaters widmete sich Richard Wagner sowie seinem musikalischen Umfeld: Weggenossen wie Franz Liszt, Rivalen wie Giacomo Meyerbeer, Anhänger wie Engelbert Humperdinck, Verwandte wie der Sohn Siegfried Wagner und große Vorbilder wie Ludwig van Beethoven und Franz Schubert. Valeska Stern moderierte den Liederabend unter dem Motto „Holder Sang singt zu mir her ...“auf eine alles andere als unkritische Weise, vielmehr neigten die interessanten Hintergründe und isolierten Selbstzeugnisse eher dazu, Wagners Charakter grundsätzlich in Frage zu stellen und den überragenden Platz Wagners in der Musikgeschichte zu relativieren – für Wagnerianer also so etwas wie eine immerhin charmant vorgetragene Blasphemie.
Dabei wäre es einfacher gewesen, Wagners Größe und Grenze nur am Lied selbst deutlich werden zu lassen: Gleich dreimal erklang das Lied, das Gretchen am Spinnrad – nach Goethes Text aus „Faust I“– singt. Guiseppe Verdis italienische Version ist genau genommen gar kein Kunstlied, sondern eine veritable, kunstvoll-künstliche Opernszene, die atmosphärisch dem Bild des einfachen Mädchens in der ärmlichen Kammer vollkommen widerspricht. Wagners Version von „Meine Ruh‘ist hin“, die Nr. 6 aus seinen „Sieben Kompositionen zu Goethes Faust“, ist dagegen verhaltener, der Situation angemessener, textverständlich und den geistigen Gehalt unterstreichend, aber dennoch musikdramatisch gedacht und aufgezogen, halb Lied und halb Theater. Einzig Franz Schuberts kongeniale Lösung, ein Musterbeispiel für die Gattung Kunstlied, wird dem Liedhaften und der spezifischen Situation Gretchens mit all ihren seelischen Vorgängen gerecht: Nach der Evozierung des Kusses, den sie von Faust empfing, stockt der bis dahin im Takt des getretenen Spinnrads schnurrende Rhythmus, Gretchen gerät seelisch aus dem Gleichgewicht und das Spinnrad aus dem Tritt.
Das dauert ein paar Takte, bis Gretchen und Spinnrad wieder im Takt sind und die Verbindlichkeit des Liedschemas wieder greifen kann. Dergleichen vermochte Wagner im Musikdrama unter den dort obwaltenden formalen Gesetzmäßigkeiten, aber offenbar nicht im Lied.