Gummigeschosse gegen Unabhängigkeit
Wie die spanische Zentralregierung das katalonische Referendum bekämpft
Polizei in schwerer Ausrüstung, die auf friedliche Bürger losgeht – so etwas sieht man in Europa heutzutage selten. In Katalonien wurde das beängstigende Szenario Wirklichkeit.
BARCELONA – Es sind erschreckende Bilder, die am Sonntag aus Spanien in die Welt getragen werden. Polizeieinheiten mit schwerer Stoßtrupp-Ausrüstung sind auf den Straßen Kataloniens unterwegs. Um
neun Uhr morgens beginnt der Einsatz der „Guardia Civil“. Vor mehreren Wahllokalen gehen die Beamten rabiat auf Bürger los, treten sie, reißen sie an den Haaren und schleifen sie über den Boden. Später sollen vereinzelt auch Gummigeschosse und Schlagstöcke eingesetzt worden sein – alles, um das von der Justiz und von der Zentralregierung verbotene Unabhängigkeitsreferendum in der aufmüpfigen Region zu blockieren.
„Einen Krankenwagen! Einen Krankenwagen!“, ruft eine junge Frau vor einem Wahllokal und hält eine ältere Frau in den Armen, die heftig am Kopf blutet. „Als die Menschen deutlich machten, dass
sie sich nicht vom Wahllokal wegbewegen würden, haben sie uns mit Schlagstöcken attackiert“, zitierte die Zeitung „La Vanguardia“einen Katalanen. „Den Hass in ihren Augen werde ich nicht vergessen. Sie haben auch Alte und Kinder angegriffen, es war ihnen egal.“Die Bilanz der Regionalregierung am Abend: mindestens 844 Verletzte.
Videos mit Aufnahmen der Polizeigewalt machen auch außerhalb Spaniens die Runde und sorgten für erhitzte Diskussionen. Sogar entschiedene Gegner des Referendums und der Unabhängigkeit schüttelten angesichts des brutalen Vorgehens den Kopf. Die Bilder könnten Ministerpräsident
Mariano Rajoy nun zum Verhängnis werden, denn seine konservative Minderheitsregierung hatte die Sicherheitskräfte entsandt – und offenbar zum harten Durchgreifen aufgefordert.
Die Katalanen reagierten unterdessen geschockt, aber gewaltlos. Immer wieder stimmten sie Lieder und Sprechchöre an, hoben ihre Hände über den Kopf und umarmten sich. Denn schon lange hatte sich ein Großteil der Bevölkerung eine Volksbefragung über die Abspaltung der wirtschaftsstarken Region gewünscht. Es geht vor allem um das Recht, selbst und ohne Einmischung aus dem vermeintlich „korrupten“Madrid über die Frage abzustimmen.
Die spanische Zentralregierung sieht keine Zustimmung für eine Unabhängigkeit. Es habe am Sonntag kein Unabhängigkeitsvotum gegeben, sagte Ministerpräsident Mariano Rajoy am Abend in einer Fernsehansprache. Für die Gewalt sei die Regionalregierung verantwortlich. Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont beanspruchte das Recht seines Landes auf Unabhängigkeit. „Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben“, sagte Puigdemont in der Nacht in Barcelona.