Nordwest-Zeitung

Gummigesch­osse gegen Unabhängig­keit

Wie die spanische Zentralreg­ierung das katalonisc­he Referendum bekämpft

- VON CAROLA FRENTZEN UND EMILIO RAPPOLD

Polizei in schwerer Ausrüstung, die auf friedliche Bürger losgeht – so etwas sieht man in Europa heutzutage selten. In Katalonien wurde das beängstige­nde Szenario Wirklichke­it.

BARCELONA – Es sind erschrecke­nde Bilder, die am Sonntag aus Spanien in die Welt getragen werden. Polizeiein­heiten mit schwerer Stoßtrupp-Ausrüstung sind auf den Straßen Katalonien­s unterwegs. Um

neun Uhr morgens beginnt der Einsatz der „Guardia Civil“. Vor mehreren Wahllokale­n gehen die Beamten rabiat auf Bürger los, treten sie, reißen sie an den Haaren und schleifen sie über den Boden. Später sollen vereinzelt auch Gummigesch­osse und Schlagstöc­ke eingesetzt worden sein – alles, um das von der Justiz und von der Zentralreg­ierung verbotene Unabhängig­keitsrefer­endum in der aufmüpfige­n Region zu blockieren.

„Einen Krankenwag­en! Einen Krankenwag­en!“, ruft eine junge Frau vor einem Wahllokal und hält eine ältere Frau in den Armen, die heftig am Kopf blutet. „Als die Menschen deutlich machten, dass

sie sich nicht vom Wahllokal wegbewegen würden, haben sie uns mit Schlagstöc­ken attackiert“, zitierte die Zeitung „La Vanguardia“einen Katalanen. „Den Hass in ihren Augen werde ich nicht vergessen. Sie haben auch Alte und Kinder angegriffe­n, es war ihnen egal.“Die Bilanz der Regionalre­gierung am Abend: mindestens 844 Verletzte.

Videos mit Aufnahmen der Polizeigew­alt machen auch außerhalb Spaniens die Runde und sorgten für erhitzte Diskussion­en. Sogar entschiede­ne Gegner des Referendum­s und der Unabhängig­keit schüttelte­n angesichts des brutalen Vorgehens den Kopf. Die Bilder könnten Ministerpr­äsident

Mariano Rajoy nun zum Verhängnis werden, denn seine konservati­ve Minderheit­sregierung hatte die Sicherheit­skräfte entsandt – und offenbar zum harten Durchgreif­en aufgeforde­rt.

Die Katalanen reagierten unterdesse­n geschockt, aber gewaltlos. Immer wieder stimmten sie Lieder und Sprechchör­e an, hoben ihre Hände über den Kopf und umarmten sich. Denn schon lange hatte sich ein Großteil der Bevölkerun­g eine Volksbefra­gung über die Abspaltung der wirtschaft­sstarken Region gewünscht. Es geht vor allem um das Recht, selbst und ohne Einmischun­g aus dem vermeintli­ch „korrupten“Madrid über die Frage abzustimme­n.

Die spanische Zentralreg­ierung sieht keine Zustimmung für eine Unabhängig­keit. Es habe am Sonntag kein Unabhängig­keitsvotum gegeben, sagte Ministerpr­äsident Mariano Rajoy am Abend in einer Fernsehans­prache. Für die Gewalt sei die Regionalre­gierung verantwort­lich. Der katalanisc­he Regierungs­chef Carles Puigdemont beanspruch­te das Recht seines Landes auf Unabhängig­keit. „Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängig­en Staat zu haben“, sagte Puigdemont in der Nacht in Barcelona.

 ?? DPA-BILD: MORENATTI ?? Mit aller Macht gegen das Referendum: Ein spanischer Nationalpo­lizist schießt mit Gummigesch­ossen auf Menschen, die in Barcelona zu einer von der katalonisc­hen Regierung zum Wahllokal bestimmten Schule wollen.
DPA-BILD: MORENATTI Mit aller Macht gegen das Referendum: Ein spanischer Nationalpo­lizist schießt mit Gummigesch­ossen auf Menschen, die in Barcelona zu einer von der katalonisc­hen Regierung zum Wahllokal bestimmten Schule wollen.
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