Nordwest-Zeitung

Mays wackelige Machtposit­ion

Brexit-Hardliner machen enormen 5ruck auf britische Premiermin­isterin

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Ihren L1. Geburtstag hätte sie sich auch angenehmer vorstellen können. Am Sonntag begann in Manchester der Parteitag der britischen Konservati­ven. Anstatt zu feiern, musste die britische Premiermin­isterin Theresa May um ihr politische­s Überleben kämpfen. Nach den von ihr ohne Not angesetzte­n Neuwahlen steht die Tory-Chefin ohne parlamenta­rische Mehrheit da. Beim Brexit geht es nicht voran. Und anstatt sich für Sachthemen zu begeistern, verhandeln die Parteimitg­lieder in Manchester hinter vorgehalte­ner Hand vor allem eine Frage: Wie lange kann sich Theresa May noch halten?

Wieder einmal war es Boris Johnson, der ihre Autorität offen infrage stellte. Er gebe ihr bestenfall­s noch ein Jahr, ließ der Außenminis­ter kolportier­en. In einem Interview mit der „Sun“hatte Johnson zudem eine Reihe von roten Linien beim Austritt aus der EU vorgeben, die Theresa May die Brexit-Verhandlun­gen wohl unmöglich machen würden. „Keine Sekunde länger als zwei Jahre“sollte die Übergangsp­hase nach dem Brexit

dauern, während der Großbritan­nien keine neuen Vorschrift­en oder Regularien aus Brüssel akzeptiere­n solle. Johnson verlangte, dass Großbritan­nien

für einen Zugang zum Binnenmark­t weder Zahlungen zu leisten, noch EUVorschri­ften in nationales Recht umzusetzen habe. Das sind Forderunge­n, die bei den EU-Partnern auf glatte Ablehnung stoßen würden.

Doch ein Scheitern der Verhandlun­gen wäre manchen der sich um Johnson scharenden Brexit-Hardliner gar nicht so unrecht. In einem Brief an May verlangten 30 Fraktionsk­ollegen, dass die Brexit-Gespräche umgehend das Thema Freihandel­sabkommen behandeln müssen. Sollte sich bis spätestens Weihnachte­n kein Fortschrit­t abzeichnen, müsse Großbritan­nien einen Austritt ohne Deal vorbereite­n, vor dem man „nichts zu fürchten habe“.

Bei einem solchen Klippen-Brexit müsste Großbritan­nien seinen Außenhande­l nach den Regeln der Welthandel­sorganisat­ion betreiben, was unter anderem auf hohe Ausfuhrzöl­le hinauslief­e. Finanzmini­ster Philip Hammond sträubt sich mit Händen und Füßen gegen ein solches Szenario.

Gefragt, ob Außenminis­ter Boris Johnson „unfeuerbar“wäre, antwortete die Premiermin­isterin am Sonntag in einem Interview nur mit einem nervösen Lachen. Was sollte sie auch sagen? Ihre Machtposit­ion ist zu wackelig. Sie kann Johnson nicht entlassen, ohne eine Parteirevo­lte fürchten zu müssen, und wird ihn bestenfall­s ignorieren können.

May versucht in dieser Situation, das Thema Brexit möglichst zu vermeiden, und setzt auf Sachthemen. Sie wolle die Studiengeb­ühren einfrieren, war ihre Botschaft vom Sonntag, und es jungen Leuten mit günstigen Darlehen leichter machen, Wohneigent­um erwerben zu können. May reagiert damit auf die Herausford­erung durch Labour. Die Opposition­spartei hatte bei den letzten Wahlen mit ihrer Hochschul- und Wohnungspo­litik gerade bei jungen Briten den meisten Zuspruch erfahren. Mays Kehrtwende bei den Studiengeb­ühren soll demonstrie­ren, dass die Regierung ein offenes Ohr für die Wähler hat, und der Partei bedeuten, sich mit anderen Themen als Brexit und Nachfolge auseinande­rzusetzen. Der Test wird sein, ob sich ihre Torries bis zum Mittwoch, wenn May den Parteitag mit ihrer Rede beschließt, daran halten wollen.

Autor dieses Beitrages ist Jochen

Wittmann. Der London-Korrespond­ent berichtet für diese Zeitung über die Politik Großbritan­niens. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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AP-BILD: AUGSTEIN Thema Brexit bloß vermeiden: Premiermin­isterin Theresa May
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