Die besondere Beziehung zu VW
Ist Niedersachsens Beteiligung am Autobauer noch zeitgemäß?
Niedersachsen gehört zu den größten VW-Anteilseignern. Experten raten zu einer Trennung.
HANNOVER – Es war 2002, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder nach der Landung in New York eine nagelneue Luxuslimousine von VW bestieg. Der damalige Volkswagen-Patriarch Ferdinand Piëch und sein Nachfolger an der Konzernspitze, Bernd Pischetsrieder, hatten den SPD-Mann zu einem Werbeauftritt für das Modell Phaeton überredet. Szenen wie diese festigten das Bild vom „Autokanzler“Schröder – und waren ein Symbol für die engen Verflechtungen zwischen dem Autobauer und dem Land Niedersachsen.
Davon kann Stephan Weil ein Lied singen. Er ist Ministerpräsident, Mitglied im VWAufsichtsrat und Krisenmanager. Warum ist das so? Das Land Niedersachsen gehört zu den größten VW-Anteilseignern und hält 20 Prozent der Stimmrechte. Die Landesregierung kann daher beim Autobauer mitreden und auch zwei Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden. Das sind derzeit Weil und Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (beide SPD). Doch allein die Tatsache, dass das Land an einem Großkonzern wie dem Wolfsburger Autoriesen beteiligt ist, sorgt immer wieder für Kritik. So stimmte Weil etwa dem „Zukunftspakt“zu, der die Kernmarke VW für die Zukunft fit machen soll – und Tausende Stellen kostet. Obendrein steckt VW mitten in der Aufarbeitung der größten Krise in der Konzerngeschichte: „Dieselgate“, der Skandal rund um millionenfachen Betrug bei der Abgasreinigung von Dieselmotoren.
Für Volkswagen bedeutet die Bewältigung des Skandals einen Kraftakt, zumal gleichzeitig die Weichen für die Mobilität der Zukunft gestellt werden müssen – EMobilität und autonom fahrende Autos, deren Entwicklung Milliardensummen erfordert. Geld, das VW nach den milliardenschweren Einigungen im Abgas-Skandal in den USA im schlimmsten Fall fehlt.
Lange war den deutschen Autobauern vorgeworfen worden, den Trend zur E-Mobilität und anderen neuen Technologien verschlafen zu haben. Der Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer geht allerdings davon aus, dass Volkswagen beim Elektroauto alles andere als abgehängt ist: „Es ist ein offenes Rennen.“Das sollte Mut machen für die Zukunft im Land, denn klar ist: Ohne Volkswagen geht nicht viel zwischen Harz und Küste, die wirtschaftliche Bedeutung von VW für Niedersachsen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es geht um Jobs, von den insgesamt weit über 600000 Beschäftigten des Konzerns arbeiten gut 120 000 im Land. Ziel der Politik: Arbeitsplätze möglichst im Land halten.
Volkswagen-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch allerdings verteidigte die Zusammenarbeit mit den Landesvertretern im Kontrollgremium: „Das war immer konstruktiv, es war immer zu spüren, dass es ums Unternehmenswohl ging.“Auch den „Zukunftspakt“habe das Land „aus guten Gründen mitgetragen“. Das will die Opposition im Land allerdings so nicht stehen lassen: CDU-Landeschef und Spitzenkandidat Bernd Althusmann setzt im Falle eines Wahlsieges auf externe Expertise. Ein Experte, etwa ein Wirtschaftsprüfer, soll demnach einen der Sitze im Aufsichtsrat besetzen. Die FDP will keine Mitglieder der Landesregierung mehr im Aufsichtsrat. Ministerpräsident Weil wiederum betonte, die Mitgliedschaft von Vertretern der Landesregierung in dem Gremium habe sich „jahrzehntelang bewährt“. Pötsch sagte salomonisch, über die Besetzung der Sitze im Aufsichtsrat müsse das Land entscheiden.
Hintergrund ist die Aufregung um die von VW vorab bearbeitete Regierungserklärung Weils vom Oktober 2015, die in Teilen zugunsten des Konzerns verändert wurde – so lautete die Kritik. Die Landesregierung argumentierte, die Abstimmung mit VW sei notwendig gewesen, andernfalls hätte Weil in rechtlich schwieriges Fahrwasser geraten können. Althusmann kritisierte, dass Weil unter Hinweis auf das Aktienrecht nicht alle Fragen der Öffentlichkeit und des Landtags zu VW beantworte.
Branchenexperte Stefan Bratzel vom Forschungsinstitut CAM sieht in Weil dagegen einen der Treiber der Aufklärung im Diesel-Skandal. Klar sei aber auch: Der Ministerpräsident dürfe nicht alles sagen, was er wisse. Grundsätzlich stelle sich die Frage, ob die Landesbeteiligung noch zeitgemäß sei, betonte Bratzel. „Die Beteiligung des Landes ist keine Voraussetzung für den Erfolg. Ich würde dafür plädieren, sich langfristig davon zu trennen.“