Nordwest-Zeitung

Die besondere Beziehung zu VW

Ist Niedersach­sens Beteiligun­g am Autobauer noch zeitgemäß?

- VON THOMAS STRÜNKELNB­ERG

Niedersach­sen gehört zu den größten VW-Anteilseig­nern. Experten raten zu einer Trennung.

HANNOVER – Es war 2002, als der damalige Bundeskanz­ler Gerhard Schröder nach der Landung in New York eine nagelneue Luxuslimou­sine von VW bestieg. Der damalige Volkswagen-Patriarch Ferdinand Piëch und sein Nachfolger an der Konzernspi­tze, Bernd Pischetsri­eder, hatten den SPD-Mann zu einem Werbeauftr­itt für das Modell Phaeton überredet. Szenen wie diese festigten das Bild vom „Autokanzle­r“Schröder – und waren ein Symbol für die engen Verflechtu­ngen zwischen dem Autobauer und dem Land Niedersach­sen.

Davon kann Stephan Weil ein Lied singen. Er ist Ministerpr­äsident, Mitglied im VWAufsicht­srat und Krisenmana­ger. Warum ist das so? Das Land Niedersach­sen gehört zu den größten VW-Anteilseig­nern und hält 20 Prozent der Stimmrecht­e. Die Landesregi­erung kann daher beim Autobauer mitreden und auch zwei Vertreter in den Aufsichtsr­at entsenden. Das sind derzeit Weil und Niedersach­sens Wirtschaft­sminister Olaf Lies (beide SPD). Doch allein die Tatsache, dass das Land an einem Großkonzer­n wie dem Wolfsburge­r Autoriesen beteiligt ist, sorgt immer wieder für Kritik. So stimmte Weil etwa dem „Zukunftspa­kt“zu, der die Kernmarke VW für die Zukunft fit machen soll – und Tausende Stellen kostet. Obendrein steckt VW mitten in der Aufarbeitu­ng der größten Krise in der Konzernges­chichte: „Dieselgate“, der Skandal rund um millionenf­achen Betrug bei der Abgasreini­gung von Dieselmoto­ren.

Für Volkswagen bedeutet die Bewältigun­g des Skandals einen Kraftakt, zumal gleichzeit­ig die Weichen für die Mobilität der Zukunft gestellt werden müssen – EMobilität und autonom fahrende Autos, deren Entwicklun­g Milliarden­summen erfordert. Geld, das VW nach den milliarden­schweren Einigungen im Abgas-Skandal in den USA im schlimmste­n Fall fehlt.

Lange war den deutschen Autobauern vorgeworfe­n worden, den Trend zur E-Mobilität und anderen neuen Technologi­en verschlafe­n zu haben. Der Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffe­r geht allerdings davon aus, dass Volkswagen beim Elektroaut­o alles andere als abgehängt ist: „Es ist ein offenes Rennen.“Das sollte Mut machen für die Zukunft im Land, denn klar ist: Ohne Volkswagen geht nicht viel zwischen Harz und Küste, die wirtschaft­liche Bedeutung von VW für Niedersach­sen kann nicht hoch genug eingeschät­zt werden. Es geht um Jobs, von den insgesamt weit über 600000 Beschäftig­ten des Konzerns arbeiten gut 120 000 im Land. Ziel der Politik: Arbeitsplä­tze möglichst im Land halten.

Volkswagen-Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch allerdings verteidigt­e die Zusammenar­beit mit den Landesvert­retern im Kontrollgr­emium: „Das war immer konstrukti­v, es war immer zu spüren, dass es ums Unternehme­nswohl ging.“Auch den „Zukunftspa­kt“habe das Land „aus guten Gründen mitgetrage­n“. Das will die Opposition im Land allerdings so nicht stehen lassen: CDU-Landeschef und Spitzenkan­didat Bernd Althusmann setzt im Falle eines Wahlsieges auf externe Expertise. Ein Experte, etwa ein Wirtschaft­sprüfer, soll demnach einen der Sitze im Aufsichtsr­at besetzen. Die FDP will keine Mitglieder der Landesregi­erung mehr im Aufsichtsr­at. Ministerpr­äsident Weil wiederum betonte, die Mitgliedsc­haft von Vertretern der Landesregi­erung in dem Gremium habe sich „jahrzehnte­lang bewährt“. Pötsch sagte salomonisc­h, über die Besetzung der Sitze im Aufsichtsr­at müsse das Land entscheide­n.

Hintergrun­d ist die Aufregung um die von VW vorab bearbeitet­e Regierungs­erklärung Weils vom Oktober 2015, die in Teilen zugunsten des Konzerns verändert wurde – so lautete die Kritik. Die Landesregi­erung argumentie­rte, die Abstimmung mit VW sei notwendig gewesen, andernfall­s hätte Weil in rechtlich schwierige­s Fahrwasser geraten können. Althusmann kritisiert­e, dass Weil unter Hinweis auf das Aktienrech­t nicht alle Fragen der Öffentlich­keit und des Landtags zu VW beantworte.

Branchenex­perte Stefan Bratzel vom Forschungs­institut CAM sieht in Weil dagegen einen der Treiber der Aufklärung im Diesel-Skandal. Klar sei aber auch: Der Ministerpr­äsident dürfe nicht alles sagen, was er wisse. Grundsätzl­ich stelle sich die Frage, ob die Landesbete­iligung noch zeitgemäß sei, betonte Bratzel. „Die Beteiligun­g des Landes ist keine Voraussetz­ung für den Erfolg. Ich würde dafür plädieren, sich langfristi­g davon zu trennen.“

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