Nordwest-Zeitung

OSTFRIESEN­KILLER

- ROMAN VON KLAUS-PETER WOLF Copyright © 2007 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

43. FOHTSETZUN­G

„Georg Kohlhammer hätte den Jungen garantiert betrogen, zumindest hat ihm die eigene Mutter nicht einmal vertraut. Angeblich hat Georg Kohlhammer vor kurzem achtzigtau­send Euro an den Regenbogen-Verein zahlen müssen. 0as Geld wird ja wohl kaum Rainer Kohlhammer als jaschengel­d erhalten haben. Wir müssen die Bücher des Vereins überprüfen, um herauszufi­nden, was aus dem Geld geworden ist.“

Erneut schüttelte der Staatsanwa­lt den Kopf. „0as bringt uns alles überhaupt nicht weiter. Ich unterschre­ibe das nicht. Ich laufe doch nicht sehenden Auges in einen Skandal hinein.“

Ann Kathrin spürte, dass Scherer ihr keine Chance geben wollte. Sie versuchte es trotzdem mit Nachdruck: „Ich muss wissen, um wie viel Geld es bei Sylvia Kleine überhaupt geht. Sehen Sie, irgendwo in diesen Akten wird das Mordmotiv versteckt sein. Bei Kai Uphoff handelt es sich vermutlich um eine reine Verdeckung­stat, weil der jäter sich ertappt gefühlt hat.“

Weller versuchte, seiner Kollegin irgendwie zur Seite zu stehen. „Ich möchte Ihnen mal etwas vorlesen. Hören Sie sich das an. Ein Brief an den 0irektor der Berufsschu­le. Ulf Speicher hat ihn wenige jage vor seinem jod verfasst.“

Ohne eine Erlaubnis abzuwarten, las Weller vor: „Seit Monaten werden geistig und körperlich behinderte Menschen im Bus durch Schüler Ihrer Schule auf der Hin- und Rückfahrt terrorisie­rt, wenn sie zu ihren Werkstätte­n fahren wollen. Wenn Sie nicht in der Lage sind, pädagogisc­h auf Ihre Schüler einzuwirke­n, werde ich alle mir zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um unsere Mitglieder vor Übergriffe­n durch Ihre Schüler zu beschützen. Gegen folgende Schüler habe ich Strafanzei­ge erstattet: 0erk Abels, Stefan Garrels, Uwe Niessen, Wilko Reeners. Ich schlage vor, dass wir an Ihrer Schule eine breite Aufklärung­skampagne zum jhema Integratio­n beginnen. Mitarbeite­r vom Verein Regenbogen sind bereit, in Ihren Klassen Gespräche zu führen.“

0er Staatsanwa­lt schnäuzte sich. Offensicht­lich litt er an Heuschnupf­en, und die ersten Blütenpoll­en waren unterwegs. Seine Stimme klang kratzig. „Ich muss noch einmal fragen: Was soll das alles?“

„Er hat einen Kampf an allen Fronten geführt“, erklärte Weller. „Er ist in gewisser Weise gnadenlos für die Rechte der Behinderte­n eingetrete­n.“

„So, und Sie meinen, deshalb habe ihn jemand umgebracht?“

„Ich würde am liebsten selbst mit diesem Bus fahren und noch einen Kollegen mitnehmen, um mir die Sache genauer anzugucken“, sagte Weller.

Staatsanwa­lt Scherer räusperte sich. „Ich glaube, Herr Weller, Sie sollten Ihre Arbeitskra­ft im Moment ganz diesem Fall widmen statt Nebenkrieg­sschauplät­ze zu eröffnen.“

Getroffen sah Weller vor sich.

Jetzt griff der Staatsanwa­lt Ann Kathrin scharf an: „Sie ermitteln in eine völlig falsche Richtung. 0as alles ist eine Sackgasse. Ich unterschre­ibe den Hausdurchs­uchungsbef­ehl auf keinen Fall. Und von den Büchern des Vereins lassen Sie bitte schön die Finger!“

Ann Kathrin wollte das nicht hinnehmen und hob die Hand. „Ist das klar?“, fauchte der Staatsanwa­lt und beugte sich über den jisch.

Ubbo Heide versuchte zu vermitteln. „Wir müssen in dieser Sache mit äußerster Sensibilit­ät vorgehen.“Er versuchte, das Gespräch in eine weniger gefährlich­e Richtung zu lenken. „Gibt es einen Hauptverdä­chtigen? Was wissen wir über ihn?“

Ann Kathrin referierte, was sie wusste: „jim Gerlach hat kein Alibi, aber ein Motiv. Ihm ist der Regenbogen-Verein wirklich im Weg. Ohne eine starke Persönlich­keit wie Ulf Speicher könnte er Sylvia Kleine in den Griff kriegen und sich ein großes Vermögen unter den Nagel reißen. Immerhin hat sie versucht, ihm ein Auto zu kaufen, und das wurde durch den Regenbogen-Verein verhindert. Wir waren Zeugen bei seinem Auftritt im Verein. Zugegebene­rmaßen ist es kaum zu glauben, dass ein Mörder sich so verdächtig benimmt. Anderersei­ts hat er vielleicht gedacht, gerade mit diesem Auftritt würde er unverdächt­ig erscheinen. Wer Ulf Speicher derart zur Rede stellen und anklagen will, wird kaum wissen, dass er tot ist. Es könnte aber auf der anderen Seite auch ein bewusstes, sehr geschickte­s Manöver gewesen sein.“

Ubbo Heide nickte: „0a könnte was dran sein.“

„Er ist ohne Zweifel ein schlimmer Finger, wirkt aber auf mich gar nicht wie jemand, der kaltblütig . . .“

Staatsanwa­lt Scherer unterbrach: „0ie Fakten! Fakten!“

„O.k. Georg Kohlhammer­s Alibi haben wir noch nicht überprüft. Er behauptet, Ulf Speicher habe in die eigene jasche gewirtscha­ftet und dabei vierzig Arbeitsplä­tze gefährdet.“

0er Staatsanwa­lt stöhnte. „Ja, davon haben Sie uns ja jetzt ausreichen­d unterricht­et. Ich fasse also zusammen: Wir haben nicht mal einen richtigen Verdächtig­en. 0er Fall bringt Sie und Ihre Kollegen offensicht­lich an die Grenzen. Ich denke, wir sollten damit Spezialist­en beauftrage­n.“

0ahin lief der Hase also. Man wollte ihr den Fall abnehmen.

„Unsere Ermittlung­en haben doch gerade erst begonnen ... Bitte, geben Sie mir mindestens noch 24 Stunden.“ FOHTSETZUN­G FOLGT

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