„Ein Muster des Wegschauens“
Institut wirft katholischem Bistum Hildesheim schwerwiegende Versäumnisse vor
Die Vorwürfe gegen den früheren Bischof Heinrich Maria Janssen wurden weder bewiesen noch entkräftet. Anders sieht es im Fall des Jesuitenpater Peter R. aus.
HILDESHEIM – Im MissbrauchsFall um den mittlerweile suspendierten Priester Peter R. hat das unabhängige Münchener Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) dem Bistum Hildesheim und den Jesuiten ein „Muster des Wegschauens“vorgeworfen. Die Gefährdung durch den ehemaligen Jesuitenpater
sei von dem katholischen Bistum im Laufe der Jahrzehnte wissentlich in Kauf genommen worden, sagte Gutachter Peter Mosser am Montag in Hildesheim. Demnach konnten elf gemeldete Fälle sexualisierter Gewalt während der Tätigkeit des Priesters in Hildesheim nachgewiesen werden, sechs davon seien den damaligen Bistumsverantwortlichen bekannt gewesen.
Das Bistum stellte am Montag gemeinsam mit dem Institut ein rund 250 Seiten zählendes Gutachten vor. Die Fälle sind laut Gutachtern inzwischen juristisch verjährt. Weihbischof Nikolaus Schwerdtfeger zufolge wurde aber nun ein kirchenrechtliches Verfahren eingeleitet.
Schwerdtfeger bat die Opfer und ihre Angehörigen um Vergebung. „Die eigene Schuld und das eigene Versagen lasten auf uns.“Dem Bistum sei sehr bewusst, dass den Opfern großes Leid widerfahren sei. „Das macht mich bekümmert und zerknirscht, und es beschämt mich zutiefst.“
Der Vorwurf gegen den früheren Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen (19071988) könne weder bewiesen noch entkräftet werden, erläuterten die Gutachter. Janssen soll sich von 1958 bis 1963 regelmäßig an einem Messdiener vergangen haben, der zu Beginn der Übergriffe zehn Jahre alt war.
Im Fall von Peter R. hätten offenbar Jesuiten und Bistum
die Verantwortung für den Priester einander zuschieben wollen, sagte Gutachter Mosser. Keine Gemeinde in die der Mann versetzt wurde, sei über die Gefahr informiert worden, die von ihm ausgegangen sei. Dem Priester wurde der Umgang mit Kindern und Jugendlichen nicht verboten und sei- ne Arbeit nicht kontrolliert. Eine Strafanzeige wurde nicht gestellt.
Möglich sei, dass die gemeldeten Fälle nur die „Spitze des Eisbergs“darstellten, sagte Mosser. Peter R. gilt als einer der Haupttäter im Missbrauchs skandal am Berliner Jesuiten-Gymnasium Canisius-Kolleg. Zwischen 1982 und 2003 arbeitete er im Bistum Hildesheim.
Versäumnisse stellten die Gutachter auch fest im 2015 bekannt gewordenen Fall von Karin B., die sich als 14-jähriges Opfer von Peter R. an das Bistum und den damals zuständigen Weihbischof Heinz Günter Bongartz gewandt hatte. Er habe ihre Schilderungen nicht als sexuellen Missbrauch gewertet. Bongartz habe nach der Vorlage der Studie seinen Rücktritt angeboten, dieser sei aber abgelehnt worden, erklärte das Bistum. Der Weihbischof sei damals angesichts von rund 70 Meldungen zu 37 zurückliegenden Missbrauchs fällen mit der Situation überlastet gewesen und habe seine Fehleinschätzung eingeräumt, hieß es zur Begründung.