Als der Rote Terror in die Welt kam
Wie die kommunistische Oktoberrevolution ein Land und seine Menschen zerstörte
Es dauerte nicht lange, und die Revolution selbst wur[ de zu einer Lüge: Den Auf[ stand der „Arbeiter[ und Sol[ datenmassen“im Jahre 1917 hat es in Wirklichkeit nie ge[ geben. Er ist eine Erfindung späterer kommunistischer Propaganda. Was sich nach dem Signalschuss aus dem Geschütz des Panzerkreuzers „Aurora“abspielte, war weit[ aus prosaischer: Bolschewisti[ sche Kämpfer drangen in den Winterpalast, den Sitz der Pro[ visorischen Regierung, ein und verhafteten die verängs[ tigten Minister. Nur wenige Schüsse fielen.
Das war schlicht ein Staats[ streich, ein Putsch – aber eben keine Revolution. Doch han[ delte es sich um einen Putsch, der den Auftakt zu Grauen bil[ dete, wie es die Welt bis dahin noch nicht erlebt hatte.
Die eigentliche, staunens[ werte Leistung erbrachten die Bolschewiki erst nach dem Staatsstreich: Ihr Regime überlebte Bürgerkrieg und westliche Intervention; Sow[ jetrussland wurde zur Welt[ macht. Doch dies geschah in einem Kreislauf des Terrors.
Durch Terror gelang es Le[ nin und seinen Genossen, ihre Macht zu sichern. Das wiede[ rum legte die Saat für neuen Terror, einen Terror der schließlich erst gegen Ende des Jahrhunderts durch Er[
schöpfung und Auszehrung sowie den entschlossenen antikommunistischen Wider[ stand des Westens erlosch.
Wes Geistes Kind diese marxistisch durchgebildeten Putschisten um Lenin, Trotzki und Stalin waren, zeigte sich den Russen und der Welt schnell. Die neue Regierung begann, gegen das Privat[ eigentum vorzugehen – und sie institutionalisierte den Terror in direkter Anknüpfung an die französische Revolu[ tion. Im September 1918 ver[ abschiedete der „Rat der Volkskommissare“das Dekret „Über den Roten Terror“. Bis 1922 wurden auf Basis dieses Papiers zwischen 250 000 und einer Million Menschen er[ mordet. Der Terror richtete sich dabei nicht nur gegen Unterstützer der antibolsche[ wistischen Opposition, son[ dern gegen jeden, der in sei[ nem Verhalten und seinen Äußerungen das sich etablie[ rende System kritisierte. Hier liegen die Wurzeln des sowje[ tischen Lagersystems, und hier stählte sich in den Mas[ senerschießungen die Über[ zeugung einer breiten Schicht kommunistischer Funktionä[ re, dass die „gute Sache“schon das eine oder andere Menschenleben Wert sei.
Diesem durch Terror er[ fochtenen Sieg folgte neuer Terror – diesmal nicht gegen
eine politische oder militäri[ sche Opposition, sondern gegen eine Gesellschafts[ schicht. Unter dem Deckman[ tel der Kollektivierung und des Kampfes gegen die „Kula[ ken“(Großbauern) vernichte[ ten die Kommunisten die Bauernschaft. Mehr als zwei Millionen Menschen wurden deportiert. Hunderttausende wurden erschossen. In den folgenden Hungersnöten star[ ben in der UdSSR zwischen 1927 und 1930 bis zu sechs Millionen Menschen. Stalin bezeichnete das im Septem[ ber 1929 offen als „Liquidie[ rung der Kulaken als Klasse“.
Diese „Liquidierung“traf jedoch keineswegs nur Groß[ bauern – sie traf jeden Land[ wirt, der unabhängig zu wirt[ schaften wagte. Und auch die angeblich „herrschende Klas[ se“kam nicht davon: Die Ar[ beit in der Industrie wurde militarisiert, der Arbeiter, wie einst der hörige Bauer an die Scholle, an seine Fabrik ge[ bunden. Ein Gesetz von 1940 sah Deportation und Lager[ haft für diejenigen vor, die un[ diszipliniert arbeiteten oder
Ausschuss produzierten. Al[ lein zwischen Juni und Sep[ tember 1940 verurteilten die Kommunisten deswegen fast eine Million Menschen.
Die inzwischen gänzlich zerstörte, entindividualisierte und brutalisierte Gesellschaft kam auch nach der Vernich[ tung der freien Bauern nicht zur Ruhe – es kam nur noch schlimmer. Zwischen 1936 und 1938 steigerte die kom[ munistische Führung den Terror noch einmal. Opfer konnte nun jeder werden – vom Politbüromitglied über den Offizier bis zum Hilfs[ arbeiter. Kein Vorwurf war zu lächerlich, um nicht dafür zu Lagerhaft oder Erschießung verurteilt zu werden. Die Geheimpolizei NKWD entvöl[ kerte ganze Provinzen. Allein im Oktober und November 1936 wurden nach NKWD[An[ gaben rund 1,5 Millionen Menschen verhaftet. 668 000 wurden erschossen, der Rest in Lager verschleppt.
Die Täter aber – sie handel[ ten aus tiefster Überzeugung. Lenin, Stalin, Jeschow oder Trotzki glaubten daran, dass Massenmorde „notwendig“seien, um eine Utopie ver[ wirklichen zu können. Diese Utopie bestand in einer quasi[ religiösen Heilserwartung, die man mit dem Begriff „Kom[ munismus“bezeichnete. Die Berufsrevolutionäre betrach[ teten sich selbst als Lichtbrin[ ger, ihre Gegner als Vertreter eines finsteren Zeitalters, das es zu überwinden gelte. Sol[ ches Sendungsbewusstsein, ideologische Entschlossenheit und die durch die Jahre des Ersten Weltkrieges brutalisier[ te Gesellschaft in Russland gingen ab 1917 eine furchtba[ re, explosive Mischung ein.
Schon der theoretische Marxismus trug ja den Samen der Gewalt in sich. „Es gibt nur ein Mittel, die mörderi[ schen Todeswehen der alten Gesellschaft, die blutigen Ge[ burtswehen der neuen Gesell[ schaft abzukürzen – den revo[ lutionären Terrorismus“, schrieb Marx 1848. Seine rus[ sischen Adepten nahmen das wörtlich und handelten mit aller Konsequenz danach.
Wenn es nun eine Lehre aus dem Oktoberputsch, der Machtübernahme des Bol[ schewismus und den folgen[ den Jahrzehnten zu ziehen gilt, dann diese: Man miss[ traue zutiefst denjenigen, die davon träumen, einen „Neuen Menschen“zu schaffen und eine Gesellschaft nach utopi[ schen, vermeintlich „guten“Grundsätzen umzugestalten. Hier beginnt es schon, nach vergossenem Blut zu stinken.