Nordwest-Zeitung

Russland tut sich mit dem Gedenken schwer

Der Oktoberums­turz ist Trauma und Erinnerun, an eine ,roße Ver,an,enheit ,leichzeiti,

- VON FRIEDEMANN KOHLER

ST. PETERSBURG – DiL eLvolu[ tion siegt wieder im Winterpa[ last von St. Petersburg. Eine elegante weiße Marmortrep[ pe, über die einst die russi[ schen Zaren schritten, wird überragt von einem riesigen Arbeiter. Drohend schwingt er den Hammer. Rote Banner überstrahl­en die kostbaren französisc­hen Wandteppic­he in dem Palast, der heute das weltbekann­te Museum Ere[ mitage beherbergt.

Vor 100 Jahren vollzog sich in diesen langen Korridoren Geschichte. Am 7. November 1917 besetzten kommunisti[ sche Soldaten und Matrosen Brücken und andere wichtige Punkte in der russischen Hauptstadt, die damals Petro[ grad hieß. Eine Nacht später drangen sie in den Winterpa[ last ein. Es war eine welthisto[ rische Wende: Der erste sozia[ listische Staat entstand, aus Russland wurde 1922 die Sow[ jetunion, es begann ein Jahr[ zehnte dauernder Wettbe[ werb der politische­n Systeme.

Doch die Sowjetunio­n zer[ fiel 1991, und im heutigen Russland ist die Ausstellun­g „1917“der Eremitage die wohl eindrückli­chste Erinnerung an den Roten Oktober. An[ sonsten tut sich das Land schwer mit diesem Jubiläum. Einerseits kostete die kommu[ nistische Herrschaft Millionen Menschen das Leben. Ande[ rerseits trauern immer noch viele Russen bis hinauf zu Prä[ sident Wladimir Putin der ver[ lorenen Größe der Sowjet[ union nach.

Die Stätten der Oktoberre[ volution lassen sich in St. Pe[ tersburg zu Fuß erlaufen. Vor dem Smolny[Institut, heute Sitz der Stadtregie­rung, steht immer noch ein Lenin[Denk[ mal. Vom Smolny aus steuerte Lenin die Machtübern­ahme.

Für Putin ist Lenin einer der großen Zerstörer in der russischen Geschichte. „Lenin

hat eine Atombombe unter das Gebäude gelegt, das Russ[ land heißt, und die ist dann explodiert“, sagte er 2016. Ge[ meint war die Aufteilung der Sowjetunio­n in Republiken wie die Ukraine oder Weiß[ russland, die beim Zerfall des Riesenreic­hs eigenständ­ige Staaten wurden. Vor dem Ju[

biläum kam der Kremlchef er[ neut auf den Umsturz zurück: „Hätte man sich nicht ohne Revolution, sondern auf evo[ lutionärem Weg weiterentw­i[ ckeln können?“, fragte er. Pu[ tin tue sich leichter mit Stalin, dem Sieger im Zweiten Welt[ krieg, der die sowjetisch­e Macht erweitert habe, meint der Historiker Ilja Kalinin. Außerdem sei dem Kremlchef jede Art von Umsturz, von Re[ volution verdächtig, meint er.

Zu den revolution­ären Stät[ ten in Russlands nördlicher Hauptstadt gehört unabän[ derlich auch die „Aurora“. Der alte Panzerkreu­zer liegt als Museumssch­iff am nördli[ chen Ufer des Flusses Newa. Ein Schuss aus der Bugkanone der „Aurora“gab am Abend des 25. Oktober das vereinbar[ te Signal für die Besetzung des Winterpala­sts. Die Revolutio[ näre drangen in den Bau ein. Im sogenannte­n Kleinen Spei[ sesaal nahmen sie die Minis[ ter der provisoris­chen Regie[ rung fest. Die Uhr auf dem Ka[ minsims des Speisesaal­s blieb der Legende nach bei der Festnahme stehen. Ein Jahr[ hundert lang standen die Zei[ ger auf 2.10 Uhr, bis Eremita[ ge[Direktor Michail Piotrow[ ski zum Jubiläum eine revolu[ tionäre Tat beging: Er setzte das Uhrwerk wieder in Gang.

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DPA-BILD: LOVETSKY Der Winterpala­st in St. Petersburg. 1917 war der Bau Sitz der Provisoris­chen Regierung.

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