Nordwest-Zeitung

Ke I e Tage voller Zweifel

5usical „Jesus Christ 9uperstar“im Großen Haus des 9taatsthea­ters

- VON HORST HOLLMANN

Regie führte Erik Petersen. Die tragenden Rollen erfüllen Oedo Kuipers, Rupert Markthaler und Martyna Cymerman mit starkem Charakter.

OLDENBURG – These eins: Alle Religionen halten die Menschen dumm! Sagen Sozialwiss­enschaftle­r. Antithese: Ohne eine Religion ist eine Gesellscha­ft nicht überlebens­fähig! Halten nicht nur Religionsf­orscher dagegen. These zwei: Wenn eine Religion ihre uralten Grundwerte in die Moderne übertragen kann, ohne die Bedeutung des Bewahrens aufzugeben, hat sie Zukunft. Keine Antithese dazu!

Ohne sakralen Kitsch

Texter Tim Rice und Komponist Andrew Lloyd Webber stehen mit ihrem Rockmusica­l „Jesus Christ Superstar“für These zwei. Das Werk zu den letzten sieben Tagen von Jesus kam zu seiner Entstehung­szeit 1971 als Provokatio­n an. Doch bei der stark gefeierten

Premiere am Staatsthea­ter erschließt sich den Hörern das einstmals Skandalöse nicht mehr. Regisseur Erik Petersen legt die 120 Minuten nicht als Bibel-Doppelstun­de an. Die Inszenieru­ng verzichtet, abgesehen von der überdrehte­n Kreuzigung­sszene, auf sakralen Kitsch. Stattdesse­n wagt sie tiefe Einblicke in die Charaktere. Aus mystischen Figuren werden Menschen.

Jesus oder Judas• Eine Weile erwogen Rice und Webber, ihre Version nach dem Namen des Verräters zu benennen. Das drängt sich auf. Judas ist neben Jesus und Maria Magdalena die herausrage­nde Person.

Das liegt zum einen an der Rolle. Judas wird kirre am vordergrün­digen Star-Gehabe des Erlösers und seiner selbstverl­iebten Jünger. Er sieht die hehren Ziele zum Schaden des Volkes verraten. Zum anderen ist Rupert Markthaler ein glaubwürdi­ger Interpret dieses fanatisch zwischen Verantwort­ungsgefühl und Zweifeln pendelnden Idealisten, sowohl darsteller­isch als auch sängerisch.

Jesus, hintergrün­dig ein Zweifler und Verzweifel­ter, wirkt dagegen fast etwas statisch. Das überdeckt aber Oedo Kuipers rein schon mit der Kraft seiner Erscheinun­g und der Wendigkeit, Wucht und Tonhöhe, die der MusicalJun­gstar in seine Stimme legt. In ihrer Innigkeit, aber auch, wenn sie aufdreht, dringt Martyna Cymerman als Maria besonders dicht zu den Herzen der Zuhörer im ausverkauf­ten Haus vor.

Auf der Bühne von Sam Madwar, die mit der Band in einer Loge über dem Eintrittsp­ortal einer Zirkusaren­a ähnelt, wuseln ohne Leerlauf das Oldenburge­r Sängerense­mble (Mark Weigel, Kim David Hammann, Henry Kiichli und andere) Chor, Extrachor und Soul-Girls. Für Paul Brady ist Herodes eine Paraderoll­e – als

Paul Brady. Das wetterwend­ische Volk lässt sich schnell von der gerade angesagten Seite vereinnahm­en. Oder es macht aggressiv in zwingender Choreograf­ie Front gegen sie. Zwischentö­ne gibt es da nicht.

Brücken schlagen

Das Jesus-Christ-Superstar-–uintett unter Leitung von Jürgen Grimm mischt mitreißend Softrock-Balladen, Gitarrenri­ffs und Scratch-Sounds mit Wiedererke­nnungs-Melodien, Klangteppi­chen und kontemplat­iven Momenten. Der Sound scheppert angemessen forte aber noch verträglic­h. In dieser Form wird das Rockmusica­l im Großen Haus und später im Uferpalast seinen Weg machen, weil es Brücken in die heutige Zeit schlägt. Wir vertreten, was das Volk will, ist ja eine brandaktue­lle Aussage.

These drei: Auch das Christentu­m hat sich als die beste aller Religionen gesehen und das mit Terror Ungläubige­n aufgezwung­en. Bis zu einem Aufbruch und zur Öffnung hat es Jahrhunder­te gedauert. Andere Religionen werden solche Zeit auch brauchen.

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PROBENBILD: STEPHAN WALZL Am Boden: Szene mit Oedo Kuipers als Jesus Christus und Martyna Cymerman als Maria Magdalena

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